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Irische Regierung verliert Parlamentsmehrheit

■ Nach dem Parteiaustritt der Abgeordneten Alice Glenn rücken vorgezogene Neuwahlen immer näher / Uneinigkeit über Ratifizierung der Auslieferungsabkommen / Koalitionspartner über Maßnahmen gegen hohe Verschuldung des britischen Inselstaates zerstritten

Aus Dublin Ralf Sotscheck

Die irische Koalitionsregierung von Gerald FitzGerald hat am Mittwoch ihre Parlamentsmehrheit verloren, nachdem die Abgeordnete Alice Glenn ihren Austritt aus FitzGeralds Fine–Gael–Partei erklärt hatte. Frau Glenn begründete ihren Schritt in einem Brief an den Regierungschef mit dessen „Mißachtung religiöser und moralischer Werte“. Ihr Brief schloß mit den Worten: „Ich bin katholisch und danke Gott dafür.“ Vorgezogene Neuwahlen, die FitzGerald wegen seiner bankrotten Wirtschaftspolitik ohnehin schon drohten, erscheinen jetzt unausweichlich. Alice Glenn war vor zwei Wochen ins Kreuzfeuer der Kritik ge raten, als sie die Kabinettsmitglieder und protestantischen Kirchenführer, die für eine Legalisierung der Scheidung eintreten, als Staatsfeinde bezeichnete. Ihr Kreisverband hatte daraufhin beschlossen, sie bei den nächsten Wahlen nicht mehr als Kandidatin aufzustellen. Der Austritt von Alice Glenn wirft ein Licht auf die Regierungskrise.Drei wichtige Parlamentsentscheidungen stehen noch vor Ende des Jahres zur Entscheidung an. So wird die Ratifizierung des europäischen Auslieferungsabkommens nur von einigen unabhängigen Abgeordneten unterstützt. Die oppositionelle Fianna– Fail–Partei meint, daß nach den zahllosen britischen Justizskandalen in der jüngsten Vergangen heit niemand der britischen Rechtssprechung ausgeliefert werden dürfe und die Debatte über das Abkommen verschoben werden müsse. Der „single european act“, der noch vor Jahresende von den zwölf EG–Staaten ratifiziert werden soll, findet dagegen auch die Unterstützung von Fianna–Fail. Das Abkommen wird Irland noch enger an die EG und Sicherheits– und außenpolitischen Fragen anbinden. Zum ersten Mal wird darin Irlands Peripheriestatus in Europa anerkannt. FitzGeralds penetrante Versicherung, daß die Ratifizierung nicht eine schleichende Aufgabe der irischen Neutralität sei, machte jedoch auch Anhänger mißtrauisch. Wenn die irische Neutralität auch längst ausgehöhlt ist, so ist ihre formale Aufgabe mit Emotionen beladen und würde viele Wählerstimmen kosten. Um die Bedenken zu zerstreuen, verabschiedete das irische Parlament am Mittwoch mit knapper Mehrheit eine Resolution, die Irlands Neutralität gegenüber militärischen Bündnissen bekräftigt. Dank der rouninösen Wirtschaftspolitik ist Irland nach Einwohnern gerechnet der höchstverschuldete Staat der Welt. Fast ein Viertel des Staatshaushalts muß jedes Jahr durch Neuverschuldung gedeckt werden. Für das nächste Jahr fordert die europäische Kommission Ausgabenkürzungen in Höhe von 800 Millionen DM. Es ist unwahrscheinlich, daß sich die Koalitionspartner darüber einigen können, in welchen Bereichen der Rotstift angesetzt werden soll. Und selbst bei einer Einigung sind die Chancen gering, daß das Parlament den Haushalt verabschiedet, da die Regierung nach Alice Glenns Austritt über keine parlamentarische Mehrheit verfügt. Die Parteien haben sich auf vorgezogene Neuwahlen im Februar eingerichtet. Der Wahlkampf hat begonnen.

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