: Bokassa: ein Ex–Kaiser als Unschuldslamm
■ Erste Zeugenaussagen im Bokassa–Prozeß / Der Ex–Kaiser der zentralafrikanischen Republik steht wegen Korruption, Anstiftung zum Mord, Menschenfresserei und Leichenschändung vor Gericht / Rache am „Ex–Cousin“ Giscard dEstaing, der ihn 1979 gestürzt hatte
Von Hanspeter Schmidt
Im Prozeß gegen Bokassa, den ehemaligen Kaiser der Zentralafrikanischen Republik, haben am Montag zum erstenmal Zeugen über Mord und Folterungen während der 14jährigen Schreckensherrschaft des Angeklagten ausgesagt. So soll einem Polizeibeamten, der eines Putschversuchs verdächtigt wurde, ein Nagel in den Kopf geschlagen worden sein. Anderen Zeugenaussagen zufolge hat man zahlreiche Häftlinge verhungern lassen oder sie zu Tode geprügelt. Bokassa antwortete auf die Anschuldigungen, er sei Staatschef gewesen und habe die Truppen nicht direkt kommandiert. „Welche Verbrechen sie auch immer verübten, ich wußte nichts davon und konnte nichts wissen“, sagte er am Montag vor den Schranken des Gerichts in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik. Am Dienstag, dem dritten Tag des Prozesses, ist der frühere Polizeipräsident Bokassas wegen Meineids im Gerichtssaal festgenommen worden. Jean–Bedel Bokassa war am 23. Oktober 1986 mit einer aus Rom kommenden Linienmaschine in Bangui gelandet und sofort vom französischen Berater des Staatspräsidenten Kolingba, von Colonel Manson, und einer Einheit der Palastgarde festgenommen worden. Nun steht der wegen Korruption, Anstiftung zum Mord, Menschenfresserei und Leichenschändung in Abwesenheit bereits zum Tode verurteilte Ex–Kaiser vor Gericht. Das Revisionsverfahren wurde am 26. November aufgenommen und nach dreiwöchiger Unterbrechung am 15. Dezember fortgesetzt. Bokassa strebt eine förmliche Rehabilitierung durch die zentralafrikanischen Autoritäten an, um schließlich, wohl nach napoleonischem Vorbild, seinem Land zu gegebener Zeit als Triumphator und Erlöser zu Ansehen und Wohlstand zu verhelfen. Gegen seinen hofierten, einst geliebten „Ex–Cousin“ und Kameraden mancher Großwildjagden, den französischen Ex–Präsidenten Giscard dEstaing, der ihn 1979 mit dem Einsatz einiger hundert Fallschirmjäger stürzte, hegt er offene Rachegelüste. Seit Jahren setzt er alles daran, Einzelheiten seiner Geschäfte mit französischen Regierungsmitgliedern in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Verbreitung seiner Enthüllungs–Autobiographie „Ma Verite“ (“Meine Wahrheit“) wurde durch ein Pariser Zivilgericht am 14. April 1985 wegen der Verletzung der Privatsphäre Giscard dEstaings auf dessen Antrag untersagt. Eine in der Strafprozeßordnung nicht vorgesehene, vom Gericht in Bangui am ersten Verhandlungstag jedoch überraschend zugelassene persönliche Erklärung des Angeklagten gibt einen Vorgeschmack: „Ich habe mich heute freiwillig meinen Richtern gestellt. 1979 hat Valery Giscard dEstaing, damals Präsident der französischen Republik, die französische Armee ihrer Pflicht entfremdet, um einen Staatsstreich zu organisieren und die nationale Souveränität meines Landes zu verletzen. Um diesen, das Völkerrecht verletzenden Akt zu rechtfertigen, hat er eine umfassende Desinformations– und Manipulationskampagne eingeleitet. Man hat mich als einen Kannibalen, einen Mörder, einen Dieb, einen Vaterlandsverräter dargestellt. Während meines Exils habe ich immer einen gerechten und fairen Prozeß verlangt, damit die Wahrheit ans Licht kommt... Ich beabsichtige nicht, irgendeine Rolle im politischen Leben dieses Landes zu spielen. Es ist mein innigster Wunsch, daß General Kolingba der Nation die Einheit und den Fortschritt bringt, die seine Unabhängigkeit garantieren. Ich wünsche für mich michts, als in Frieden im Kreis der Meinen zu leben und mich von der Niedertracht der Anschuldigungen reinzuwaschen...“ Nicht der Inhalt dieser Erklärung, die Andeutung einer späten Rache am „lieben Cousin“ und eine Respektsadresse an die zentralafrikanische Machtelite, wurde der Öffentlichkeit, die über Radio jedes Wort der direktübertragenen Verhandlung verfolgte, als brisant empfunden. Mehr bewirkte die Form, die staatsmännische Attitüde, der feierliche und ernste Ton Bokassas, die Sicherheit, mit der er seine Erklärung vortrug. Man kann bezweifeln, daß Bokassa Gelegenheit gegeben wird, viel Pikantes über französische Politiker und Mitglieder der zentralafrikanischen Herrschaftsschicht vorzutragen. Schließlich war es eines der wichtigsten Ziele der französischen Staatstreichaktion „Barracudas“ im September 1979 gewesen, die Archive im Kaiserpalast von Berengo zu zerstören. Wahrscheinlicher ist, daß das Gericht an seinem bisherigen Verfahren der strengen Beachtung prozessualer Regeln festhält, Details aufklärt, die schwerwiegenden Anschuldigungen fallen läßt und sich in den Einzelheiten verliert. Staatspräsident Kolingba wird möglicherweise die Gelegenheit nutzen und seinem Amtsvorgänger Gnade erweisen. Er muß jedenfalls auf die Ethnie, der Bokassa angehört, Rücksicht nehmen. Seit langem wird ihm von jener Seite Tribalismus oder Nepotismus vorgeworfen, weil er die wichtigen Ministerämter und Beamtenstellen seit Jahren nahezu ausschließlich an Männer aus seinem eigenen Dorf vergibt. Auch der französischen Regierung wäre ein Gnadenakt wohl nicht unlieb. Denn mit einer Erhöhung der tribalistischen Spannungen im Land ist ihren Interessen nicht gedient. Bangui dient ihr schließlich als militärisches Sprungbrett in den Tschad.
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