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Berlins Datenschutz: erschreckend staatstreu

■ Die Berliner Alternative Liste (AL) ist verärgert über heißen Draht zwischen „Meldebehörde und Berliner Polizei“ / „Ordnungsmerkmale“ wurden von der Meldebehörde rechtswidrig weitergegeben / Fazit: Fast jeder Berliner findet sich im Polizeicomputer wieder

Aus Berlin Birgit Meding

Von der hanebüchenen Informationspolitik des Berliner Datenschutz–Beauftragten, Dr. Hans– Joachim Kerkau, hatte die Alternative Liste (AL) nun die Nase voll und rief gestern zu einer Pressekonferenz. An mehreren Beispielen wurde nachgewiesen, daß der oberste Datenschützer der Stadt sich vornehmlich als treuer Beamter und Staatsdiener erweist. Was oder besser wer wird hier „geschützt“? Nach der Devise „Herr Kerkau läßt sich nicht gerne recherchieren“ erregte sich die AL vor allem über das Nichtwissen oder Schweigen des Datenschutzbeauftragten zum langjährigen gesetzwidrigen Übermittlungsgebaren von zwölf spröden Ziffern, genannt Ordnungsmerkmal. Dieses Merkmal gibt Auskunft über das genaue Geburtsdatum und das Geschlecht und ermöglicht durch einen weiteren Zahlencode die Identifizierung einer konkreten Person eines jeweiligen Bundeslandes. Jede Person, die bei den Meldebehörden registriert ist, hat ein solches Merkmal. Ohne irgendeine rechtliche Grundlage und von den Behörden immer wieder bestritten, wurde dieses Ordnungsmerkmal nun in Berlin über zehn Jahre lang von der Meldebehörde an das sogenannte „Informationssystem zur Verbrechensbekämpfung“ (ISVB) der Polizei übermittelt. Wie ein Prozeß um die Löschung dieses Ordnungsmerkmales zutage förderte, galt diese Praxis bis zum 1. April 1985, genau dem Zeitpunkt, als in Berlin das neue Meldegesetz und damit die längst fällige Trennung von Meldebehörde und Polizei besiegelt wurde. Erstaunlicherweise sind im Berliner ISVB knapp 1,5 Mio. „natürliche Personen“ gespeichert. Angesichts der rund 1,86 Mio. starken Bevölkerung der Stadt dürfte sich damit fast jeder Berliner im Polizeicomputer wiederfinden - via Ordnungsmerkmal. Für die Übermittlungspraxis fehlte jegliche rechtliche Grundlage, da das alte Berliner Meldegesetz von 1958 die Existenz eines solchen Ordnungsmerkmales nicht kennt (das wurde erst Anfang der 70er Jahre in aller Stille zusammen mit der automatischen Datenverarbeitung eingeführt) Diese rechtliche Unklarheit hatte die Polizei schlicht als Freibrief genommen, um einen heißen Draht zwischen Meldebehörde und Polizei einzurichten. Wozu das Ordnungsmerkmal verwendet wurde, belegt die schriftliche Antwort der Polizei, die sich gegenüber der taz strikt weigerte, eine mündliche Auskunft zu geben: „Aus dem Ordnungsmerkmal wurde lediglich das Geburtsdatum für den Datenabgleich herangezogen. Die in dem Datenabgleich einbezogenen Einwohnerdaten führten nur bei Übereinstimmung mit im ISVB gespeicherten Personalien zum Ausdruck sogenannter Treffersätze an die Fahndungsdienststelle.“ Das wiederum ist Rasterfahndung reinsten Stils. Was erst durch einen Prozeß ans Licht der Öffentlichkeit geriet, wurde jahrelang von den zuständigen staatlichen Stellen bestritten. Entsprechende parlamentarische Anfragen, die die AL dazu zwischen 1982 und 1984 stellte, beantwortete der damalige Innensenator Lummer immer mit einem schlichten „Nein“. Auch der Datenschutzbeauftragte wußte nichts, obwohl er für seinen vorletzten Datenschutzbericht ausführlich das ISVB durchgekämmt hatte. Noch 1983 ließ er in einem Brief wissen, die Verwertung des Ordnungsmerkmales beschränke sich auf das Melderegister selbst. Aber während der Anhörung zum neuen Meldegesetz 1982 tat er öffentlich kund, daß eine Übermittlung des Ordnungsmerkmals nicht mit dem Datenschutz zu vereinbaren ist. Denn wenn ein Ordnungsmerkmal mit einer anderen Datei verknüpft werde, komme es einem „Personenkennzeichen“ gleich. Das wiederum wurde bereits 1976 vom Rechtsausschuß des Bundestages als verfassungswidrig abgelehnt, weil dadurch die Zusammenführung verschiedener Dateien möglich sei und somit eine Person umfassend registriert und katalogisiert werden könnte (“Gläserner Mensch“). Vor solch „unzulässigem Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“ warnend, zog er damals die richtige Schlußfolgerung , daß „jegliche Übermittlung ausgeschlossen“ werden sollte. Bei dieser Warnung in den Wind ist es bislang geblieben. Zwar ist die Übermittlung des Ordnungsmerkmals nunmehr verboten, doch die Polizei nimmt dies zum Anlaß, die ersten sieben Ziffern des „sprechenden Merkmals“ (Geburtsdatum und Geschlecht) mit Hilfe eines Benutzerausweises auf die eigenen Datenterminals zu rufen. Nach dieser neuerlichen Praxis befragt, brachte der zuständige Mitarbeiter beim Datenschutzbeauftragten nur ein erstauntes „Das ist ja spaßig“ zustande.

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