Ein Erzbischof haut auf den Putz

■ In seinem Hirtenbrief für den kommenden Sonntag geht der Kardinal von Mailand auf Kollisionskurs mit den Politikern - aber auch mit dem Heiligen Stuhl / Einzig in der Radikalen Partei finden seine Attacken Freunde

Aus Rom Werner Raith

Italiens Radikale Partei hat ihn aufgefordert, sich bei ihr einzu schreiben: die Sozialisten sehen ihn als Parteigänger der Kommunisten und diese als einen, der „auf uns einprügelt“, der Heilige Stuhl hat seit Jahren alle Hände voll zu tun, den Unbequemen irgendwie zur Ruhe zu bringen - aber der stets sanft auftretende, doch ebenso stets wortgewaltige Carlo Maria Martini hat offenbar überhaupt nicht vor, Ruhe zu halten. Die neueste Attacke des Erzbischofs von Mailand gilt offiziell der „politischen Welt“ - doch auch der Rückstoßeffekt auf den politischsten aller Päpste seit der Renaissance, Johannes Paul II., dürfte nicht ausbleiben. In einem Hirtenbrief, der kommenden Sonntag von den Kanzeln der Erzdiözese verlesen wird, geht Martini mit den Machenschaften des „Palazzo“, des etablierten Machtgefüges, ins Gericht - und nicht nur mit dem italienischen. Unübersehbar gezielt auch auf Skandale anderer Länder, in denen „Parteien in christlichem Namen regieren“, sieht Martini in der Politik „im wesentlichen ein Labyrinth von Lügen und üblen Kungeleien“; sogar, wo „nach außen hin Regierung und Opposition einander bekämpfen, gibt es in den Geheimkammern der Palazzi unlautere Absprachen zum Schaden des Volkes“ - noch nie hat ein so hoher Kirchenmann so massiv die gesamte Politik der westlichen Welt heruntergeputzt. Den direktesten Angriff auf die Techtelmechtel des Papstes mit den Politikern der Welt sehen Vatikanologen vor allem in Martinis Erklärung: „Wer sich mit den Leuten des Machtgefüges einläßt, ist ständig zu Kompromissen mit seinem Gewissen gezwungen - wer seine christliche Moral aufrechterhalten möchte, kann dies heute oft nur in Form eines Martyriums tun.“ Nicht umsonst hatte Martini bereits des öfteren seine ungeteilte Sympathie für die „Theologie der Befreiung“ bekundet, die der Heilige Stuhl scharf verurteilt hat. Den gescholtenen Parteien kommt die Attacke sehr ungelegen - bereiten sie sich doch auf einen Wahlkampf in den nächsten Monaten vor. So engagieren sich sogar die höchsten Parteiorgane bei der „Schadensbegrenzung“ - meist in gegenseitigen Schuldzuweisungen; lediglich nichtregierende Miniparteien wie die Radikalen oder die Grünen spenden Martini Beifall. Die Kirche hat beschlossen, auf die Angriffe „des einzigen ernsthafen italienischen Opponenten des Papstes“ (so LEspresso) so zu reagieren wie schon seit Jahren - durch Schweigen.