piwik no script img

Die Rheinmündung wird zum Giftbecken

■ Die holländische Stadt Rotterdam wehrt sich gegen die Giftfracht des Rheins / von Thomas Scheuer

„Stell Dir vor, es fließt der Rhein, und keiner wirft sein Scheiß hinein.“ Diese Utopie ziert eine Mauer an der Basler Rheinpromenade. Für die Stadt Rotterdam wärs zu schön, um wahr zu sein: Nach dem Prinzip „den letzten beißen die Hunde“ ist die Stadt unfreiwillige Endabnehmerin für die gesammelte Giftfracht, die entlang des Rheins in den Fluß gekippt wird. Der Hafenstadt, die gestern Gastgeberin der Ministerkonferenz über die Rheinverschmutzung war, steht der giftige Schlick bis zum Hals.

Als „europäische Schlagader“ betitelt Rotterdams Umweltsenator Ries Jansen im Gespräch gern den Rhein. Doch die „Lebensader für diese Stadt“ führt giftige Gerinsel mit sich, die in den Becken des Delta–Hafens, des größten Umschlaghafens der Welt, bereits zum ökologischen Infarkt geführt haben: Der vom Fluß mitgeführte Schlamm, der ständig aus den Fahrrinnen und Hafenbecken gebaggert werden muß, um die für Seeschiffe nötige Mindesttiefe von 24 Metern zu erhalten, hat mittlerweile die Qualität von Sondermüll. Die Hafenbecken sind zu Sickergruben für die gesamte Giftpalette von den Schwermetallen bis zu den chlorierten Kohlenwasserstoffen geworden, welche die Industrie zwischen Basel und Rotterdam in den Fluß kippt. Wegen seiner Toxizität hat die niederländische Regierung 1985 die Verklappung des Baggerschlicks in die Nordsee, wo er von Natur aus hingehört, verboten; auch an Land will längst keine Deponie mehr die giftige Pampe haben. So steht der Gemeinde Rotterdam als Endabnehmer der gesammelten Schmutzfracht des „Vorfluters“ Rhein der Giftschlamm bis zum Hals: Nach Angaben der Hafenbehörde „fließen“ jährlich fast 4.000 Tonnen Schwermetalle den Rhein hinab. Von den 23 Millionen Kubikmetern Schlamm, die in Rotterdam jährlich ausgebaggert werden, sind rund 10 Millionen Kubikmeter mit Schadstoffen belastet. Im Durchschnitt enthält ein Kilogramm dieses Problemschlammes: 569 Milligramm Zink, 125 mg Blei, 105 mg Chrom, 83 mg Kupfer, 7,1 mg Cadmium und 1,7 mg Quecksilber. Deponie bis zum Jahr 2000 Seit Anfang 1985 wird auf der Maasebene, dem westlichen Hafengebiet Rotterdams, das Baggergut in einer riesigen Deponie zwischengelagert, im Volksmund die „Badewanne“ genannt. Zur Zeit wird fieberhaft an einem gigantischen Projekt gearbeitet: Die „Slufter–Insel“, eine künstliche Halbinsel in der Nordsee, wird ab 1987 ungefähr 15 Jahre lang den belasteten Hafenschlamm aufnehmen können, samt dem Dreck aus der „Badewanne.“ Für besonders giftigen Schlick wurde an der Nordostseite der Maasebene zusätzlich eine spezielle Deponie– Insel angelegt, der „Papageienschnabel.“ Doch auch er ist, ebenso wie der Slufterdam, in rund 15 Jahren gestopft. Was dann? Neben ökologischen Gründen schließt Rotterdam vor allem wegen der Milliarden–Kosten den Bau weiterer Deponie–Inseln heute schon aus. Einziger Ausweg also: nach dem Jahre 2002 muß der Hafenschlamm eine solche Beschaffenheit haben, daß er unbedenklich ins Meer verklappt, bei Grundbauarbeiten oder in der Landwirtschaft verwendet werden kann. Konsequenz: Die Schadstoffeinleitungen müssen entsprechend reduziert, der Rhein muß wieder sauber werden. Mit diesem Ziel hat die Stadt Rotterdam das Projekt „Sauberer Rhein“ eingeleitet. Die erste Phase ist bereits abgeschlossen: Wissenschaftler des „International Centre of Waterstudies“ haben im Auftrag und auf Kosten Rotterdams mit ihren Forschungsschiffen „Vios“ und „Onrust“ auf mehreren Touren seit 1985 die 14 Haupt–Verschmutzer des Rheins mit Schwermetallen identifiziert. Doch die Namen der Firmen werden vorerst geheimgehalten. „Wir haben alle ein Pflaster vor dem Mund“, bedauert ein Mitarbeiter der Umweltbehörde. Die Hitliste der Einleiter führt 14 Hauptverschmutzer auf: Zehn deutsche, je zwei französische und holländische sowie eine Schweizer Firma. Sieben Firmen gehören der chemischen Industrie, drei der Stahlindustrie, drei anderen Industrien an, auch eine städtische Kläranlage gehört dazu. Für Chrom, Kupfer und Zink sind vor allem die zehn bundesdeutschen „Absender“ verantwortlich, aber auch die Schweizer und französischen Betriebe steuern ihren Teil bei. Ein Großteil des Zinks gelangt über die Nebenflüsse in den Rhein. Für die Cadmium–Einleitungen ist in erster Linie eine holländische Firma verantwortlich. Die Stadt setzt bislang auf den Dialog mit den Konzernen, will diese in Verhandlungen zur Reduzierung ihrer Einleitungen und zur Beteiligung am finanziellen Schaden bewegen. Verursacher wollen nicht zahlen „Die Erwartungen bezüglich der Gesprächsbereitschaft“, heißt es allerdings realistisch in einem Bericht, „sind jedoch nicht sehr hoch gespannt.“ Das bestätigt Matthias Heinen, verantwortlich für die direkten Verhandlungen mit der Industrie: „Ganz nette, offene Gespräche“ habe es mit den Schweizern gegeben; die Franzosen hingegen „sagten nur das kleine Wort non“ und die Deutschen verwiesen auf ihre Verbände und vorliegende Genehmigungen. Von den 14 Sündern zeigten sich ganze vier überhaupt gesprächsbereit; konkrete Zusagen gab es keine. „Das ist nicht schön gelaufen“, lautet Heinens Zwischenbilanz; gerade bei den Deutschen werde man wohl „ohne juristische Schritte nicht weiterkommen“. Beweismaterial wird gesammelt Prozesse stehen also vor der Haustür. Bei der juristischen Fakultät der Erasmus–Universität wurden bereits die entsprechenden Studien in Auftrag gegeben. Und der Arbeitsauftrag der „Vios“ und der „Onrust“ für ihre nächsten Fahrten lautet klar: Beweismaterial für die anstehenden Prozesse an Land zu bringen. Zu Champagner und Lachs aus dem Rhein, so versprach die holländische Verkehrsministerin Neelie Smit–Kroes am Freitag zum Auftakt der Rhein–Ministerkonferenz, werde sie die Journalisten nach Rotterdam einladen, wenn der Rhein wieder sauber sei. In Rotterdam wird es wohl noch eine ganze Weile Lachs aus der Dose geben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen