: „Eine Bankrotterklärung unserer Humanität“
■ Italienische Hafenarbeiter protestieren gegen die Auslieferung des Khomeini–Gegners an den Iran durch die Regierung Craxi / Die Asylberechtigung des geflüchteten Iraners war zweifellos gegeben / Schiff legte in Italien nicht mehr an
Aus Livorno Werner Raith
Wenn der Docker Gianfranco Pergolini an diesem Samstag einen Deutschen sieht, hält er ihm die Seite 6 von „La Repubblica“ unter die Nase; da prangt, mit ausgestreckter Rechter, Helmut Kohl unter der Überschrift „Eine schöne Antwort auf unsere Hoff nungen“: der Stimmungsartikel nach der Freilassung Sacharows. „Kannst Deinem aufgeblasenen Kanzler sagen“, fordert Gianfranco - ausgerechnet vom taz– Korrespondenten - „daß er nicht nur für den berühmten Sacharow, sondern auch was für den armen Amir aus Teheran tun soll - dem gehts wirklich an den Kragen“. Kollegen vom Hafen und eine Reihe Gewerkschafter, dazu ein paar Grüne und Mitglieder der Minipartei „Democrazia proletaria“ haben die Hafenanlagen in Livorno besetzt - „damit uns wenigstens wir nicht schuldig am Tod des Burschen machen, den unsere wackere Regierung nicht schützen mag“, wie Hafenarbeiter– Funktionär Roberto Piccini erklärt, der die Aktionen koordiniert. Am Freitag letzter Woche hatte Craxi entschieden, den 18–jährigen Khomeini–Gegner Amir Albogino Beish Macksari, der sich im Hafen von Genua auf einem iranischen Schiff verschanzt und um politisches Asyl nachgesucht hatte, in den Iran zurückzuschicken. Craxi hatte damit einer Erpressungsaktion des Iran nachgegeben, der auf dem Teheraner Flughafen sechs Italiener festgehalten hatte. Das Schiff „Iran Jahad“ mit dem geflüchteten Amir an Bord lief am Freitag aus dem Hafen von Genua aus und sollte dann noch einmal in Livorno anlegen. Im Grunde haben die Leute, die da die „Statione Di Marittima“ und den „Porto Mediceo“ belagern und auf den zweifarbigen Dampfer eine Meile vor der Küste starren, den „Fall“ nur geerbt - von ihren Kollegen aus Genua, die einige Tage lang das iranische Frachtschiff „Iran Jahad“ am Auslaufen gehindert hatten. Ein Vertreter des UNO–Hochkommissars für Flüchtlingsfragen war aus Genf nach Genua gereist und hatte die Asylberechtigung des jungen Mannes bestätigt; der Jurist ist jetzt auch in Livorno und zeigt sich blank entsetzt über die Regierung Craxi, die am Freitag Anweisung erteilt hat, dem Schiff notfalls mit Gewalt das Auslaufen zu ermöglichen. „So ziemlich alles ist falsch an dem, was die italienischen Stellen behaupten“, weiß der UNO– Mann: „Angeblich konnte z.B. die Regierung nicht intervenieren, weil das Schiff exterritorial sei - reiner Unfug, solange das Ding in italienischen Gewässern liegt.“ Keinen Glauben findet auch die Behauptung des Außenministeriums, daß der Asylant „freiwillig“ seinen Antrag zurückgezogen und sich zum bloßen Wirtschaftsflüchtling erklärt hat. „Natürlich sind wir uns bewußt“, erklärt Roberto Piccini: „Wenn wir den Jungen hier runterholen, ist das Leben der sechs Italiener in Gefahr, die sie in Teheran festhalten.“ Nicht viel weiter führt freilich auch die Trotz–Rede des Verteidigungsministers Spadolini im mittäglichen Fernsehen: „Der Iran ist eben ein Regime, das mit terroristischen Methoden arbeitet, indem es Geiseln nimmt“. Innenminister Scalfaros blauäugige Versicherung, man vertraue „Chomeini, daß der junge Mann nur wegen Republikflucht angeklagt wird“, erregt allenfalls müdes Gelächter. Per Funk suchen die Arbeiter von der Hafenkommandantur aus Kontakt zum Kapitän der „Iran Jahad“, um mit ihm zu diskutieren. Keine Antwort. Immer deutlicher wird das Gefühl, nicht nur machtlos zu sein, sondern auch gar nicht so recht zu wissen, was man wünschen soll - eine Machtdemonstration der Regierung, die die Italiener in Teheran gefährdet, oder ein als schmählich empfundenes Nachgeben. Gegen 19 Uhr verbreitet sich die Nachricht, daß der Kapitän der „Iran Jahad“ nicht in den Hafen einlaufen und auch sonst an keinem italienischen Hafen mehr anlegen wird. Mag sein, daß so mancher Erleichterung darüber empfindet, daß sich damit alles ohne direkte Aktion „löst“. Doch die Niedergeschlagenheit nimmt eher zu. „Es ist, wie mans dreht“, resümiert Gianfranco, „die Bankrotterklärung unserer Humanität.“
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