Zehn Jahre Haft für KZ–Aufseher

■ Ehemaliger Kapo des KZs Mauthausen wegen einfachen Mordes verurteilt / Für weitere Morde fehlten die Beweise / Letzter NS–Prozeß in Berlin damit zu Ende? / Gericht billigte Angeklagtem mildernde Umstände zu

Aus Berlin Plutonia Plarre

Der 74jährige Rentner Otto Heidemann wurde gestern in Berlin wegen einfachen Mordes zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er mußte sich seit August vor dem Berliner Landgericht wegen des Vorwurfs verantworten, in der Zeit von 1940 bis 1942 als Kapo in einem Nahe des Konzentrationslagers Gusen–Mauthausen (Österreich) gelegenen Steinbruch mindestens 90 polnische Mithäftlinge sadistisch und grausam getötet zu haben. Die Staatsanwaltschaft vertrat die Ansicht, der Angeklagte sei durch die Verhandlung des 24fachen Mordes überführt und hatte eine lebenslängliche Freiheitsstrafe beantragt. Heidemann bestritt bis zum Schluß hartnäckig, jemals Kapo im Steinbruch gewesen zu sein und Mithäftlinge getötet zu haben. Während des viermonatigen Prozesses, in dem über sechzig Zeugen vernommen wurden, war das Gericht dreimal zur Anhörung von alterschwachen ehemaligen KZ–Insassen nach Polen gereist. Eine Vielzahl der polnischen Zeugen erkannte Otto Heidemann - er ist mit 1,91 Größe und einer Körpertätowierung eine sehr auffallende Erscheinung - zweifelsfrei als den Mann wieder, der im Steinbruch Häftlinge in den Abgrund stürzte, mit bloßer Faust oder Stock erschlug, durch die Postenkette trieb oder mit kaltem Wasser zu Tode duschte. Das Gericht vermied mit einer strengen Verfahrensführung, daß dieser - nach der Einstellung der Ermittlungsverfahren gegen die ehemaligen Mitglieder des Volksgerichtshofs - wohl letzte NS–Prozeß in Berlin, zu einem historischen Prozeß wurde: Allgemeine Schilderungen der Zeugen über ihre KZ–Erfahrungen wurden nicht zugelassen. Wenn sich zeigte, daß die Zeugen keine direkten Angaben zum unmittelbaren Anklagekomplex machen konnten, wurde die Vernehmung schnell beendet. Daß diesem Prozeß die Kriterien eines ganz gewöhnlichen Indizienverfahrens zugrunde lagen, bestätigte das gestrige Urteil. Das Gericht zweifelte zwar nicht daran, daß Otto Heidemann Kapo im Steinbruch war und daß er sich einer „Kette von schwersten Übergriffen“ schuldig gemacht hatte, indem er polnische Häftlinge trat und schlug. Es überführte Heidemann jedoch nur des einen Mordes, der von zwei Zeugen glaubhaft bekundet worden sei: Heidemann hatte den Polen Wojdanowsky, der sich im Januar 1941 geschwächt hinter einem Felsen versteckt hatte, mit einem gewaltigen Hieb zu Boden gestreckt und so in die Genitalien getreten, daß er kurz danach starb. Im Gegensatz zum psyatrischen Gutachter, der keine Anhaltspunkte für eine verminderte Schuldfähigkeit Heidemanns gefunden hatte - Täter in KZs seien nicht von vornherein grausame Schlächter, sondern Durchschnittsmenschen gewesen - erkannte das Gericht wegen verminderter Schuldfähigkeit nur auf zehn Jahre Haft. Weil Heidemann nach dem Krieg in der Zeit von 1953 bis 1970 mehrmals wegen „sexuellen Abweichens“ - ohne „als Gewalttäter in Erscheinung zu treten“ - zu kurzen Freiheitsstrafen verurteilt worden war, sei anzunehmen, daß er schon vorher an einer „Abnormalität litt“, die sich im KZ „in Form des Sadismus“ entladen habe. Die Strafe sei auch zu mildern, weil Heidemann (er war als „Arbeitsscheuer“ im KZ) dort „selbst Demütigungen erlitt“ und weil er sich zur Wehrmacht gemeldet hatte (er wurde 1942/43 eingezogen). Das Gericht sprach Heidemann von den übrigen Vorwürfen frei. Es unterstellte zwölf Zeugen, die Heidemann noch 1944 im Lager gesehen haben wollen, einem „Massenirrtum“ erlegen zu sein. Bei den Angaben der Zeugen, die den Angeklagten 1941/42 bei den Todbadeaktionen sahen, handele es sich um „Scheinerinnerungen“. Weil sich in ihrer Erinnerung festgesetzt habe, daß Kapos, Stuben– und Blockälteste daran beteilgt waren, hätten sie den „Schluß“ gezogen: „Also wird Heidemann auch mitgewirkt haben“.