: „Leben in der Wahrheit“
■ Die CSSR–Bürgerrechtsbewegung Charta 77 ist zehn Jahre alt geworden Viel Resonanz in Ost und West / Blockübergreifende Initiativen angestrebt
Als sich am 1.Januar 1977 die Bürgerrechtsgruppe Charta 77 konstituierte, glaubte wohl keiner der über hundert Erstunterzeichner, daß einmal der zehnte Jahrestag dieser Gründung gefeiert werden könnte. Damals ging es eigentlich nur darum, die eigene Regierung aufzufordern, sich an die Schlußakte von Helsinki zu halten und damit die Menschenrechte zu wahren. Man wollte der Regierung auf die Finger sehen und der tschechoslowakischen Verfassung zur Geltung verhelfen. Die Vorstellung war, am 6.Januar jenes Jahres der Prager Regierung ein Manifest mit der Bitte um Einhaltung der Schlußakte zu überreichen. Jedoch dachte niemand der vor allem aus Intellektuellen, Christen und Reformkommunisten bestehenden Gruppe an die Gründung einer „Opposition“ gegen das Regime. Ein positiver „Dialog“ sollte die Regierung von der Argumentation der Unterzeichner überzeugen. Daraus ist nichts geworden. Die tschechoslowakischen Behörden reagierten mit Repression: schon am Tag der geplanten Übergabe des Manifests wurden der Schriftsteller Vaclav Havel, Ludvik Vaculic und der Schauspieler Pavel Landovski festgenommen. 1979 erhielt Vaclav Havel wie viele andere Mitunterzeichner eine Gefängnisstrafe, für ihn bedeutete dies viereinhalb Jahre Haft. Andere wurden an ihrer Berufsausübung gehindert und mußten sich als Hilfsarbeiter verdingen. Bis heute hat die CSSR–Regierung mit ihrem harten Kurs Erfolg gehabt: Charta 77 blieb politisch isoliert, sie wurde nicht zur Massenbewegung. Das heißt aber nicht, daß die Gruppe unbedeutend geworden wäre. Im Gegenteil. Das „Leben in der Wahrheit“ (Vaclav Havel) hat eine - wenn auch beschränkte - zweite Kultur–,Bildungs– und Gewerkschaftsbewegung hervorgebracht.Mit ihren zahllosen Memoranden, Denkschriften und Deklarationen zur Menschenrechtsproblematik, zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit, zur Friedensbewegung und zur sozialen Problematik hat Charta 77 für Aufsehen im Osten und Westen gesorgt. Die immer wieder formulierte Position eines blockübe erfordert, die Gewalt und die Androhung der Gewalt auszuschließen und das Völkerrecht in den internationalen Beziehungen ebenso zu sichern wie mit der Gewalt und dem Unrecht innerhalb der Staaten ein Ende zu machen“ - dies ist ein Gedanke, den den die Charta vertritt und der auch hier Anhänger gewann. Erich Rathfelder
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