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„Ein Buch, das hier erscheinen müßte“

■ Umweltzerstörung und Bürgerprotest in der DDR - eine westdeutsche Publikation

Daß die komplizierten ökologisch–ökonomischen Zusammenhänge zu den wichtigsten Problemkreisen dieser Zeit gehören, hat sich ja inzwischen herumgesprochen. Schwieriger ist es, die Fragen nach Auswegen aus der heutigen bedrohlichen Lage zu beantworten. „Von oben nach unten wächst gar nichts“ - der Titel des in Westdeutschland erschienenen Buches von Peter Wenserski deutet auf einen möglichen Weg hin: das Entscheidungsmonopol Weniger zu durchbrechen und die eigene Verantwortung selbst wahrzunehmen. Peter Wenserski, Journalist und langjähriger DDR–Kenner, hat mit diesem Buch einen zusammenfassenden Überblick über die ökologischen Probleme der DDR vorgelegt. „Ein Buch, das hier in der DDR erscheinen müßte“, könnte ich sagen... In acht Kapiteln stellt Wenserski die spezifische Situation der DDR–Ökologie dar. Er erspart dabei dem Leser ideologische Diffamierungen, bemüht sich stattdessen um eine objektive Zustandsbeschreibung, die sicher manches angeschnittene Problem nicht tiefgründig erfaßt. Es beginnt mit Schilderungen betroffener, meist resignierter DDR–Bürger aus besonders umweltbelasteten Regionen (Waldsterben im Erzgebirge, Braunkohlenabbau um Leipzig), die diese innerhalb der „Kirchen– Öffentlichkeit“ äußerten, und so wird gleich zu Anfang die Methodik der staatlichen Informationspolitik deutlich: mit Gesetzen und institutioneller Geheimniskrämerei wird dafür gesorgt, „daß sich die Bürger nicht unnötig beunruhigen“, d.h. die Probleme werden verschwiegen oder beschönigt, Grenzwerte und Daten werden nicht veröffentlicht und selbst vor plumpen Lügen wird nicht zurückge schreckt (einer DDR–Umweltgruppe wurde gesagt, auf die Mülldeponie Schönberg gelange nur Hausmüll aus Lübeck und Niedersachsen). Das Ergebnis solcher Politik ist ein mangelndes ökologisches Bewußtsein bei den meisten DDR–Bewohnern wie auch innerhalb ihrer Betriebe und Institutionen. Der Braunkohleabbau - mit 63 Prozent der bedeutendste Energieträger und gleichzeitig größte Luftverschmutzungsquelle im Land - wird in seinen umfangreichen Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem beurteilt. Die DDR leistet sich in diesem Bereich hauptsächlich Reparaturversuche an geschädigten Waldbeständen, die Ursachen des hohen Verbauchs und der Verschwendung von Energien aber werden kaum angetastet. Die Chemieindustrie - vorrangig an Wachstumsraten orientiert statt an ökologischen Produkten - ist einer der wichtigsten Umweltverschmutzer in der DDR. Ungezählte Erzeugnisse enthalten DDT, PCP, Formaldehyd oder andere schädigende Substanzen und verseuchen langsam und stetig Boden, Grundwasser und Nahrungsmittel. Im landwirtschaftlichen Bereich wirken sich ebenfalls vielfältige Faktoren negativ auf die Umwelt aus: toxische Pflanzenschutzmittel und überhöhte Bodendüngung führen zu Vergiftungen bei Menschen und Tieren, zum Aussterben von Kleinstlebewesen und Pflanzenarten, zur Abnahme der Bodenfruchtbarkeit, zur Verseuchung und Verkrautung der Gewässer, zum Fischsterben und zur Trinkwasserverschlechterung. Diese Themenbereiche sind nur einige der im Buch angesprochenen, die mit vielen Fakten, Zahlen und Hintergrundinformationen illustriert worden sind. „Ökonomie geht vor Ökologie“ - dieser pragmatische Grundsatz zieht wie ein gelber Rauchschleier über die Industrielandschaft DDR und führt zu irreparablen Schäden. Beschränkt eingesetzte Forschungskapazitäten und -mittel können da meist nicht einmal mehr die Feuerwehrfunktion erfüllen und dienen lediglich zur Beruhigung des schlechten Gewissens. Der Leser erfährt in diesem Buch auch von einer angeblichen Reduzierung geplanter Kernkraftwerkskapazitäten aufgrund mangelnder Sicherheitstechnik. „Reicht das nach Tschernobyl?“, fragen auch in der DDR die ökologisch Engagierten und fordern eine grundsätzliche Umorientierung der gesellschaftlichen Wertevorstellungen. Was braucht der Mensch wirklich zum Leben, und was zwingen ihm zivilisatorische Deformationen und Konsumterror bewußt oder unbewußt auf? Das sind Überlegungen des suchenden und besorgten Teils auch der DDR–Gesellschaft, aus denen Schlußfolgerungen gezogen werden, die jenseits von Partei–, Staats–, Militär– und Industriepolitik liegen. Viele Beispiele ökologischer Protestformen, alternativer Vorschläge und engagierter Basistätigkeit von Umweltgruppen sind im Buch enthalten. In bestimmten Bereichen (Baumpflanzungen, Artenschutz u.a.) ist manchmal auch eine kooperative Zusammenarbeit mit Institutionen und Organisationen möglich geworden. „Wir haben die Erde von den Eltern geerbt und von unseren Kindern geborgt“ - in diese Richtung eines Bewußtseinswandels, so hoffen die Umweltschützer in der DDR, könnten sich vielleicht doch noch Auswege in eine ökologisch vernünftige Politik eröffnen. Peter Wenserski. „Von oben nach unten wächst gar nichts“. Umweltzerstörung und Protest in der DDR. Fischer–Taschenbuch 1986.

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