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Der Ganges ist zur Kloake geworden

■ Indiens heiliger Fluß wird von Pestiziden, Abwässern, industriellen Rückständen und halbverkohlten Leichen verschmutzt Tödliche Darminfektionen, Gelbsuchtepidemien und Pilzinfektionen sind die Folge / Amt für Umweltschutz weitgehend hilflos

Patna (ips) - Millionen Hindus in Indien gilt der Ganges als heiliger Fluß. Der Mythologie zufolge entspringt er dem Fuße des Gottes Wischnu. Ein Bad in den Fluten des Ganges, so lernt jeder Hindi, wäscht die Sünden eines ganzen Menschenlebens hinweg. Doch inzwischen kann das Festhalten an Wischnus Gebot böse Folgen haben. Immer häufiger diagnostizieren Ärzte bei Gläubigen, die sich einer rituellen Reinigung unterzogen haben, Hautinfektionen und Magen– und Darmerkrankungen, letztere oft mit tödlichem Ausgang. Der Ganges ist längst nicht mehr rein, sondern hochgradig verseucht. Mitarbeiter des renommierten Wissenschaftskollegs von Patna im indischen Bundesstaat Bihar, die das Ökosystem des Flusses seit einiger Zeit beobachten, nehmen inzwischen kein Blatt mehr vor den Mund. „Der Ganges ist mittlerweile so vergiftet“, warnt Mitarbeiter Ravindra Kumar Sinha, „daß sein Wasser weder zur Be wässerung noch zum Trinken oder Kochen benutzt werden darf.“ Der Tod des größten Flusses auf dem Subkontinent, der von seiner Quelle im westlichen Himalaya bis zur Mündung im Indischen Ozean über 2.700 Kilometer drei indische Bundesstaaten durchquert, kommt für die Anwohner nicht überraschend. Seit Jahren sind im Gangesgebiet Veränderungen der Flora und Fauna zu beobachten. Die Gangesebene von Bihar gilt als besonders betroffen. Die Getreidefelder in dem Dorf Dhiber haben seit einigen Jahren ein unnatürliches Gelb, und jedes Jahr fällt die Ernte geringer aus. Die Fischer aus der Bihar–Hauptstadt Patna kehren immer häufiger mit leeren Netzen von ihrem Tagwerk zurück. Unlängst tummelten sich noch Hunderte von Flußdelphinen in dem Gangesabschnitt, heute sind sie verschwunden. Shankar Kumar, ein Arbeiter in Rajapur, verlor innerhalb kurzer Zeit drei Angehörige. Sie hatten Gangeswasser getrunken und starben an Darminfektionen. Die Verseuchung, die inzwischen Leben und Existenz vieler Menschen bedroht, geht nach Auffassung von Wissenschaftlern auf eine Reihe von Ursachen zurück. Eine davon ist Indiens unkontrolliert hoher Gebrauch von Pestiziden in der Landwirtschaft. Der Regen spült die giftigen Chemikalien in den Fluß - das Ende vieler Lebewesen in dem Gewässer, und über den Nahrungskreislauf auch eine Gefahr für den Menschen: Herz, Leber und Nieren werden von Rückständen der Unkraut– und Schädlingsvernichtungsmittel besonders angegriffen. Gelbsuchtepidemien und Pilzinfektionen hingegen, die seit geraumer Zeit in Bihar auftreten, haben eine andere Ursache: das Fehlen von Auflagen für die Abwasserbeseitigung. Ungehindert gelangen Abwässer aus Siedlungen und Industrie in den Fluß - allein in Patna täglich 200 Millionen Liter. Als besonders schlimmen Flußverschmutzer machte das Forscherteam in Patna das dortige Krankenhaus aus. In Wasserproben in unmittelbarer Nähe des Hospitals fanden sich antibiotika– resistente Mikroorganismen, vermutlich die Ursache vieler bislang nicht behandelbarer Hautallergien. Nach Ansicht der Forscher stammen die Viren aus Exkrementen, Mullbinden und anderen Abfällen des Krankenhauses. Eine nicht unerhebliche Rolle für das ökologische Desaster des Ganges spielt der Bestattungsritus der Hindus, bei dem der Tote am Flußufer verbrannt wird. Infolge steigender Holzpreise ist die Einäscherung für viele unerschwinglich geworden, so daß oft halbverkohlte Leichen in den Fluß geworfen werden. Rund 90 km von Patna entfernt pumpen eine Gerberei und eine Brennerei die Rückstände ihrer Produktion unbedacht in den Ganges. Indiens größte Ölraffinerie unweit der Stadt Barauni leitet ungefiltert ein, was bei der Raffinierung von jährlich rund drei Millionen Tonnen Rohöl abfällt. Das Amt für Umweltschutz in Bihar, der einzigen derartigen Behörde in Indien, steht der täglichen Verseuchung des heiligen Flusses relativ hilflos gegenüber. Zwar kennt man auch in Bihar Sanktionen für Umweltsünder bis hin zu Gefängnisstrafen. Eine Reihe von Fällen hat das Umweltamt vor Gericht gebracht. Doch „Prozesse können verschleppt werden und jeder weiß, daß Richter bestechlich sind“, meint resigniert ein Mitarbeiter der Behörde. Hinzu kommt, daß in Indien wie in vielen anderen Entwicklungsländern Sensibilität für ökologische Probleme bislang kaum vorhanden ist. Zwar wurde vor rund zwei Jahren von Premier Rajiv Gandhi ein Säuberungsprogramm für den Ganges ins Leben gerufen, das als erstes die Abwasserbeseitigung in den drei betroffenen Bundesstaaten regeln soll. Doch in Bihar ist von den Bemühungen des mit 240 Millionen Dollar ausgestatteten Projektes bislang nichts zu spüren. Die geplanten Kläranlagen und Krematorien gibt es nur auf dem Papier.

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