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Bei Geburt Zwilling übersehen

Bochum (taz) - Neun Monate lang ahnte Ute Koenen nicht, daß in ihrem Bauch Zwillinge heranwuchsen. Nach der Entbindung des gesunden 2600 Gramm schweren Sascha am 27. Mai 82 betrachteten die behandelnden Ärzte und die Hebamme im Hammer Marien–Hospital die Angelegenheit als erledigt. Niemand scheint sich daran gestört zu haben, daß der Bauch der jungen Mutter nicht zurückging. Erst der zweimalige Hinweis des anwesenden Vaters veranlaßte die Verantwortlichen zu einer zeitraubenden Ultraschalluntersuchung. Als der kleine Rene endlich eine halbe Stunde nach seinem Bruder das Licht der Welt erblickte, war er bereits schwerstbehindert. Sauerstoffmangel führte dazu, daß Rene sein Leben lang weder sitzen, stehen, laufen, sprechen oder sehen können wird. Auch die Nahrung kann dem Jungen nur in breiiger Form mittels einer Sonde zugeführt werden. Ab heute sitzen drei für das Elend des Rene Koenen verantwortliche Ärzte auf der Anklagebank vor dem Dortmunder Landgericht. Ihnen wird fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Kaus B. soll bereits als betreuender Arzt während der Schwangerschaft alle Anzeichen auf eine Zwillingsgeburt übersehen haben. Angeklagt sind außerdem Dr. Heinrich T., Chefarzt der Geburtshilfe–Abteilung des Marien– Hospitals und sein damaliger Assistenzarzt Dr. Klaus W., der die Geburt leitete. An sechs Verhandlungstagen soll die Strafkammer unter Mitwirkung von vier Zeugen und zwei Gutachtern die Umstände der Geburt aufklären. Die Urteilsverkündung ist für den 26. Januar vorgesehen. In einem Schmerzensgeldprozeß vor der 17. Zivilkammer des Dortmunder Landgerichts wurden die jetzt angeklagten Ärzte und das Marien–Hospital bereits in erster Instanz verurteilt. Sie haben danach allen materiellen Schaden zu ersetzen, der Rene als Folge seines Gehirnschadens entstehen wird. Außerdem sprach das Landgericht Dortmund eine einmalige Schmerzensgeldzahlung von 15.000 DM zu und eine monatliche Rente von 500 DM. Hanne Eckart

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