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Wahlkampf „zwischen Affenfels und Barrikade“

■ In Frankfurt trafen sich der Dichter und politische Sangesbruder Wolf Biermann und SPD–Bundesgeschäftsführer Peter Glotz zu einer Wahlkampf–Matinee / Glotz schwieg meist und überließ dem Ex–DDRler Biermann das politische Wort

Aus Frankfurt Reinhard Mohr

„Wer ins Bett geht mit den Hunden, steht mit Flöhen wieder auf“, sang Wolf Biermann gestern in einer Sonntags–Matinee im Frankfurter „Theater am Turm“ (TAT). Doch die Metapher konnte nicht für den konkreten Augenblick gelten. Als Biermann das Loriot–Sofa verließ, das er zwei Stunden lang mit dem Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, geteilt hatte, nahm er nur seine eigenen Flöhe wieder mit. Die sozialde mokratische Wahlkampfveranstaltung, wenn auch als „nachträgliche Feier“ zu Biermanns fünfzigstem Geburtstag annonciert, geriet zum vorerst letzten Beweis, daß die SPD in ihrem gegenwärtigen Zustand auf keinen roten Zweig kommt - egal, was sie tut. „Ich kann einer Laus wohl Stelzen machen, mir selber helfen kann ich ich nicht“, sang Biermann und traf damit die Lage des Parteimanagers und Wahlkampfleiters Glotz, der sich fragt, ob es in Deutschland überhaupt ein „aufgeklärtes Bürgertum“ gebe, auf das man zählen könne. „Wenn es stimmt, daß die Mehrheit der Bundesbürger dem Kohl–Wort von den Konzentrationslagern in der DDR eher wohlgesonnen ist und wir keine Chance hätten, solche Verhältnisse zu ändern, dann sähe es wirklich beschissen aus“, klagte er und verlangte von Biermann Auskunft darüber, wie denn „diese Restauration“ eigentlich entstanden sei. Der - noch etwas morgenschwer - beließ es bei dem zarten Hinweis, daß die SPD daran wohl nicht ganz schuldlos sei. Im übrigen mochte er seinen uruguayischen Freund Daniel Viglietti mit dem Wort zitieren: „Hoffnung, Ja, Hoffnung - noch immer und: grundlos.“ Nachdem die beiden ungleichen Plüsch–Kameraden sich über Kohls „Schwachsinn“ (Glotz) und „Verbrechen“ (Biermann) einig geworden waren und der Dichter allerlei Besinnliches zum allerbesten gegeben hatte - „Meine Mutter hatte mir immer eingeschärft: Wer hat uns verraten? Sozialdemkraten!“ -, kam dann doch noch etwas von der Stimmung auf, die eine Veranstaltung mit dem Titel „Zwischen Affenfels und Barrikade“ erwarten läßt: „Die SPD hat versäumt, sich rechtzeitig auf die richtige Seite zu stellen“, sprach Biermann in den überfüllten Raum und fügte hinzu: „Deshalb wähle ich jetzt die Grünen, die ja nicht mehr diese diffuse Salatfresserpartei von früher sind.“ Um wenigstens den Hauch einer SPD– Werbung zu retten, fragte Glotz bei Biermann an, ob er denn nicht wenigstens die „zweitwichtigste Stimme, die Zweitstimme“ der SPD überlassen könnte. Lacher sind noch keine SPD–Stimmen, und mit zunehmender Dauer wurde deutlich, daß die „Zerreißproben der Kunst“ (Untertitel) eine wahre Labsal sind gegen die Aporien einer Politik, die tendenziell (und konsequent) zur Sprachlosigkeit führt. Nach einem letzten Versuch, nichts über Johann Rau, die Krise der SPD und das Verhältnis zu den Grünen zu sagen, begnügte sich Glotz mit Zuhören. Ob es um Gorbatschow und die Zukunft der Sowjetunion, um den polnischen „Konterrevolutionär“ Jaruzelski oder um Petra Kellys T–Shirt–Performance bei Honecker - „Schwerter zu Pflugscharen“ - ging, der Dichter hatte das politische Wort, und es war beileibe kein garstig Wort. Die „kulturelle Hegemonie“ der Linken, die Peter Glotz sucht und nicht findet - da saß sie in persona vis–a–vis: auf dem Affenfels. „Ihr wollt ja nun diese Gesellschaft auch nicht aus den Angeln heben“, beschwichtigte der Künstler des Politikers Versuch, die ALternativen klar zu machen. „Graf Lambsdorff will den Spitzensteuersatz senken“, konterte Glotz. „Davon würde ich ja noch profitieren“, rief Biermann und verbarg sein Gesicht hinter den Händen. „Ein bißchen mehr Gerechtigkeit“ - die SPD ist reif für den Affenfels. Und das Publikum wurde am Schluß noch belohnt: „Du, laß dich nicht verhärten in dieser harten Zeit...“

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