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Gegen § 218 keine Strategie in Sicht

■ Forum von Gegnerinnen des § 218 sieht sich „mit dem Rücken zur Wand“ und plant dezentrale Aktionen

Nach Alice Schwarzers „Manifest“, dem Aufruf, Verfassungsklage gegen den § 218 einzureichen, kam Bewegung in die Reihen der Gegnerinnen des Paragraphen. Welche konkreten Schritte könnten unternommen werden, um gefunden. Frau begnügte sich damit, zu nicht weiter koordinierten dezentralen Aktionen aufzurufen.

Essen (taz) - „Männer machen Geschichte, Frauen tragen sie aus!“ Unter diesem Motto diskutierten am Samstag in Essen dreizehn seit Jahren im Kampf gegen den Abtreibungsparagraphen 218 engagierte Frauen auf dem Podium und etwa 300 aus dem Publikum. Auf dieser Wahlkampfveranstaltung der Grünen sprachen sich zwar alle Rednerinnen für die ersatzlose Streichung aus, eine einheitliche, breite Kampagne wird es allerdings nicht mehr geben. Verena Krieger, Bundestagskandidatin der Grünen, meinte, das beredte Schweigen um den § 218 müsse gebrochen werden, denn das „Wahlkampfschweigen“ der großen Parteien sei die „Ruhe vor dem Sturm“. Auch Lisa Degener und Silvia Hebisch, beide seit Jahren in der Koordination der 218–Gruppen tätig, stellten bedauernd fest, daß die Frauenbewegung sich anderen Schwerpunkten zugewandt habe und daß für die Frage des Abtreibungsverbots inzwischen schwer zu mobilisieren sei. „Der Kampf gegen den § 218 war nie so schwierig wie heute. Wir sind nicht mehr so stark, wie wir mal waren. Wir wollen wieder mit mehr Selbstbewußtsein und Radikalität an die Sache rangehen.“ Abtreibung gehört zum Frauenalltag Renate Sadrozinsky vom Familienplanungszentrum der Pro Familia in Hamburg betonte, daß Abtreibung ein übliches Ereignis im Leben der Frauen sei und deshalb jede ungewollt Schwangere das Recht auf bestmögliche Beratung, Unterstützung und medizinische Versorgung habe. Dieser Auffassung konnte Marita Haibach, grüne Staatssekretärin für Frauenfragen in Hessen, nur beipflichten. Obwohl es in Hessen immerhin drei Pro Familia–Zentren gebe, die auch ambulante Abtreibungen machen, gebe es auch hier eine deutliche Klimaverschärfung in dieser Frage, die zu einer Diskussion bei der Eröffnung des dritten Zentrums in Hessen (in Gießen) geführt habe. Gleichzeitig gebe es einen „Abtreibungstourismus“ aus den umliegenden Bundesländern, in denen die Abtreibungspraxis repressiv ist. Frauen treiben ab - sie wollen, können, müssen dies, schon immer und werden es auch in Zukunft immer wieder tun. Ob erlaubt und unter vergleichsweise „angenehmen Bedingungen“ oder unter Verbot und Strafandrohung. Trotzdem fällt die Argumentation für die Abtreibung immer noch schwer. Susanne von Paczensky (Pro Familia Hamburg) zitierte Helene Stöcker, Frauenrechtlerin aus den zwanziger Jahren: „Das Tier ist näher am Leben als der Embryo.“ Wer traut sich heute, in einer Situation, in der die „Aktion für das Leben“ oder die CDU versuchen, Stimmung gegen die „Mörderinnen“ zu machen, so etwas noch laut auszusprechen? Zur Diskussion um die Bewertung des vorgeburtlichen Lebens trug Paula Bradisch, Molekularbiologin, die bei den Grünen zum Thema Gen– und Reproduktionstechnologie arbeitet, weitere Aspekte bei: Die Diskussion um das vorhandene Leben beim Embryo sei als Scheindiskussion entlarvt, wenn man nicht gleichzeitig auch Leben bei Sa menfäden und Eizellen voraussetze. Abtreibung und Atomkraft Mechtild Jansen, die die Aktion Muttertag mitorganisierte, plädierte dafür, Rita Süssmuth zu entmythologisieren. Deren Forderung, den Mißbrauch des § 218 zu verhindern, richte sich gegen die Frauenbewegung. Damit unterscheide sich Frau Süssmuth überhaupt nicht vom Rest der CDU. Dem oft gehörten Argument, daß derjenige, der gegen AKWs sei, auch gegen die Abtreibung sein müsse, hielt Mechtild Jansen entgegen, daß denjenigen, die für AKWs seien, überhaupt jedes Recht, über Leben zu diskutieren, abgesprochen werden müsse. Die Kriminalisierung der Abtreibungsfrage schaffe nur Schuldgefühle und senke nicht die Abtreibungsquote. Auch sie unterstrich das Recht für Kinder, Wunschkinder zu sein. Marlies Meckel, Leiterin der Arbeiterwohlfahrt in Essen und „seit über zwanzig Jahren in der Abtreibungsfrage engagiert“, betonte, daß eine Abtreibung „sehr wohl etwas Gutes sein kann, genauso wie eine Trennung oder Scheidung“. Ein Unikum im Strafrecht? Ute Melzig von der IG Druck und Papier wies darauf hin, daß es für Arbeiterinnen schon immer notwendig und schwieriger als für bürgerliche Frauen gewesen sei, abzutreiben, und daß auch heute viele von ihnen kein Geld hätten, nach Holland zu fahren, daher auf gute Bedingungen zur Abtreibung im Lande angewiesen seien. Sie erinnerte, daß die DGB–Frauen die Streichung der §§ 218 und 219 gefordert haben. Inwieweit diese Forderungen jetzt von den Einzelgewerkschaften aufgenommen würden, liege am Engagement der Gewerkschaftsfrauen. Heide Hering fand sich in einer etwas schwierigen Position, als Vertreterin der Humanistischen Union, die die „Fristenlösung sozusagen erfunden hat“, plädierte sie doch „privat“ für die ersatzlose Streichung des § 218. Frau Hering hält den § 218 in der bestehenden Form für „ein Unikum im Strafgesetzbuch. Denn kein anderes Verbrechen ist nur solange verboten, bis es durch einen staatlichen Eingriff, die Sozialberatung, wieder erlaubt ist.“ Silvia Hebisch von der Koordination der § 218–Gruppen umriß zuletzt die Aktionen, die sie und die autonomen § 218–Gruppen für wichtig halten: „Wir müssen was tun, denn wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Wenn der CDU Parteitag tatsächlich unter dem Motto Schutz des ungeborenen Lebens stattfinden soll, müssen wir was gegen diese Hetze setzen.“ Sie schlug ein Tribunal am gleichen Tag vor, Straßenaktionen und Demos unter dem Motto: „Wir sind keine Mörderinnen“. Die Debatte zeigte dann: Es gibt keine einheitliche Strategie. Oder, wie es eine Frau aus dem Publikum formulierte: „Wir finden keinen Clou für die Kampagne, denn den Clou gibt es nicht. Es muß eine breite Kampagne sein, in der alle Frauen vertreten sind, wir müssen zentrale und dezentrale Aktionen machen. Unsere Forderung gehört in den Gesamtzusammenhang.“ Ob eine Verfassungsklage oder ein Frauenbegehren, eine Unterschriftensammlung oder Aktionen unter dem Motto „Wir sind keine Mörderinnen“ - was den meisten Frauen übrigens zu defensiv war -, Konkurrenz unter den einzelnen Aktionsformen wird es kaum geben. Alle Teilnehmerinnen waren sich einig - der Paragraph 218 muß weg. Wie? Das ist ihnen eigentlich egal. Corinna Kawaters

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