: „Aus blindem Haß auf Punker...“
■ In Hannover hat ein Jugendgericht über eine Schlägerei zwischen Punks und Skins zu urteilen / Gericht signalisiert Milde gegenüber Skins, die wegen versuchten Mordes angeklagt sind / Konfliktforschung wird vom Gericht nicht betrieben
Aus Hannover Jürgen Voges
Nein - wie ein Schläger sieht der inzwischen 18–jährige Hauptangeklagte wirklich nicht aus: Thomas B., der sich in diesen Tagen vor der Jugendkammer des Landgerichts Hannonver wegen versuchten Mordes zu verantworten hat, ist ein schmaler, lang aufgeschossener Bursche mit runder Nickelbrille. Die Haare hat er sich, wie seine drei Skinhead–Kameraden, die mit ihm zusammen wegen gemeinschaftlicher, schwerer Körperverletzung vor Gericht stehen, wieder zu einem Schopf wachsen lassen. Als die Jugendgerichtshilfe über seinen Werdegang berichtet, wechselt die Gesichtsfarbe des blonden Jungen zwischen Weiß und Rot. „Er wollte wohl zeigen, daß er auch ein Mann ist“, spekuliert der Polizeibeamte, vor dem Thomas drei Tage nach der Tat gestanden hat. Thomas hat vor der Polizei zugegeben, daß er am späten Abend des 3. Juni letzten Jahres auf dem alten Nicolaifriedhof mitten in Hannovers Innenstadt „wie in Trance“ und „aus blindem Haß auf Punker“ mit einem Springmesser „fünf– bis zehnmal in den Rücken und auch die Schulter“ des Punkers Bernd Kleinlechner „gehackt“ hat, als dieser, schon zusammengeschlagen und -getreten, am Boden lag. Sieben Stiche hat der Arzt später bei Bernd Kleinlechner, der damals aus Innsbruck zu Besuch in Hannover war, festgestellt und „akute Lebensgefahr diagnostiziert“. Geschlagen und getreten, so hat Thomas B. ausgesagt, habe er den Punk aus Östereich zusammen mit zweien seiner Skinhead–Freunde. Nach der Haupttat, so ergibt es sich denfalls für die Staatsanwältin aus den zahlreichen Zeugenaussagen, haben drei der Angeklagten auch die Punk–Freundin des Schwerverletzten zusammengetreten, die vorher noch verzweifelt „Aufhören, Aufhören - ihr bringt ihn ja um“ geschrien haben soll. Und die gleichen drei haben den verletzen Punk, der sich auf gerafft und etwa 50 Meter weiter geschleppt hatte, noch einmal zu Boden gestoßen und getreten. Drei Tage verhandelte die Kammer bisher. Es ist ein typisches Jugendverfahren, obwohl der älteste der Angeklagten bereits 24 Jahre alt ist. Das Gericht hat schon Milde signalisiert: Streitigkeiten unter Jugendgruppen, so ein Beisitzer, würden von dieser Kammer in der Regel als jugendtypische Straftaten angesehen und nach Jugendrecht verurteilt. „Gekungel“, „Gemauschel“ - die zahlreichen Punks unter den Zuschauern quittieren solche Äußerungen der Kammer immer wieder mit Unmutsäußerungen. Sauer sind sie vor allem, weil die Verteidigung und auch das Gericht offensichtlich davon ausgehen, daß es die Punks waren, die an jenem 3. Juni die Auseinandersetzung mit den Skinheads gesucht hätten. Schließlich sei es auch der Kammer klar, so sagt einer der Beisitzer, daß der Weg vom Bahnhof, an dem sich an diesem Abend über 20 Punks trafen, zum Jugendzentrum Kornstraße, das die Punk–Zeugen als Ziel angeben, nicht an jenem vorwiegend von Skinheads besuchten Lokal vorbeiführe, wo es dann zu der Auseinandersetzung kam. Dort war es vor der Tat erst zu längeren „wechselseitigen Beschimpfungen“ gekommen, bevor die Punks nachdem immer mehr Skins eintrafen, die Flucht ergriffen. Doch für Ute, eine der Punkerinnen unter den Zuschauern, war das dennoch keine Provokation. Man habe einfach zeigen wollen, daß man das Recht hat, sich in der Innenstadt frei zu bewegen. Schließlich habe sich vorher kein Punk mehr dort aufhalten können, ohne in Gefahr zu sein, von Skins verprügelt zu werden. In puncto Alkoholgenuß gleichen sich die verfeindeten Gruppen: 20 Drittelliter Bier waren es an jenem Abend bei dem Punk– Zeugen, der jetzt nur noch Vita– Malz in Dosen trinkt. Alle Angeklagten gaben an, zur Tatzeit etwa die gleiche Menge getrunken zu haben, und können mit „verminderter Schuldfähigkeit“ rechnen. Natürlich kennen die Punks im Zuschauerraum die angeklagten Skins schon seit Jahren. Und was die Jugendgerichtshilfe über den Hauptangeklagten und über den „Krawalli“ genannten Angeklagten von dem schwierigen Bildungsweg und den fürchterlichen Familienverhältnissen zu berichten hat, dürfte auch für viele der Punk–Zuschauer zutreffen. Die Ursachen des Konfliktes tauchen in diesen Verfahren immer nur am Rande auf. Da gaben der Hauptangeklagte und „Krawalli“ an, von der Polizei ermuntert worden zu sein, es den Punks doch ruhig mal zu zeigen, und im Gerichtssaal sitzt da auch noch eine andere Gruppe von Zuschauern. Darunter ist der örtliche FAP–Spitzenkandidat, ein anderer im schwarz– rot–golden Pullover und auch ein kleiner Dicker mit Hitler–Frisur und Bärtchen. „Den schicken wir auch noch zu Dr. Mengele“, rufen sie mir nach, als ich in der Prozeßpause an ihnen vorbeigehe. Heute wird das Urteil gefällt.
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