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Elefantenhochzeit in Wien unter Dach und Fach

■ Große Koalition SPÖ/ÖVP nach acht Wochen Verhandlungen beschlossen / Außenministerium an ÖVP / Umweltministerium aufgelöst Demnächst Koalitionspapier zu Einsparungen / Opposition aus Grünen und FPÖ deutet gemeinsames Vorgehen im Parlament an

Aus Wien Reinhard Engel

Die große Koalition ist nun beschlossen. Am Dienstag abend stellten sich der bisherige und zukünftige Kanzler Franz Vranitzky von der SPÖ (Sozialistische Partei) und sein nunmehriger Vize Alois Mock von der konservativen ÖVP (Österreichische Volkspartei) lächelnd der Presse vor. Dennoch war in ihren Gesichtern alles andere als Fröhlichkeit zu lesen. Nicht nur einmal drohten in den letzten Tagen die Koalitionsverhandlungen zu scheitern. Obwohl beide Parteien das Gürtel–enger– schnallen auf ihre Fahnen geheftet haben, war der Druck auf die Verhandler von der jeweils eigenen Klientel sehr groß gewesen. Die ÖVP sah naturgemäß in den traditionell „roten“ Bereichen die besten Chancen für Einsparungen: bei der Bundesbahn, in der ver staatlichten Industrie und in der Sozialversicherung. Die Sozialisten wiederum wollten vor allem bei den riesigen Agrarsubventionen den Rotstift ansetzen. Wo nun die Kompromisse im einzelnen liegen, wird erst das Koalitionspapier belegen, das in den nächsten Tagen veröffentlicht wird. Trotz aller inhaltlicher Differenzen und trotz des brutalen Postenschachers hatten die beiden Parteien keine große Wahl gehabt. Vranitzky hatte nach der Wahl des deutschnationalen Jörg Haider zum Obmann der Freiheitlichen Partei (FPÖ) letzten Herbst eine Zusammenarbeit mit den Rechtsliberalen abgelehnt. Und eine echte „Wendekoalition“ ÖVP/ FPÖ schien für das angeknackste Auslandsimage so riskant, daß sogar Bundespräsident Kurt Waldheim dagegen auftrat. Die beiden Oppositionsparteien, die bei den Wahlen ge stärkte FPÖ und die erstmals im Parlament vertretenen Grünen, machen inzwischen mobil. Haider, der gern der kleine Koalitionspartner der ÖVP geworden wäre, prophezeit der Koalition nur ein kurzes Leben, und Freda Meissner–Blau, Fraktionsvorsitzende der Grün–Alternativen, legte sich auf eine scharfe Oppositionsrolle fest. Dabei gibt es - trotz inhaltlicher Differenzen - zwischen den beiden Nicht–Regierungsgruppen so etwas wie Annäherung. Sowohl die FPÖ als auch die Grünen haben bereits angedeutet, sie könnten in wichtigen Koalitionsfragen gemeinsam gegen die Regierung vorgehen. (Nur die Summe ihrer Mandate würde ihnen dringliche Anfragen im Parlament ermöglichen). Die Verteilung der Ministerposten zwischen SPÖ und ÖVP ist zahlenmäßig gleich: Jeder stellt sieben Ressortchefs und einen Staatssekretär. Der Neubildung zum Opfer gefallen ist das - bisher schon recht zahnlose - Umweltressort. Seine Aufgaben werden von nun an von der konservativen Familienministerin wahrgenommen. Geblieben ist allerdings das Statssekretariat für Frauenfragen im Bundeskanzleramt. Trotz der internationalen Schwierigkeiten seit der Wahl Kurt Waldheims konnte sich die ÖVP durchsetzen und das Außenministerium für Mock erringen. Das wird vermutlich das angeknackste Image des konservativen Staatspräsidenten Waldheim stärken.

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