P O R T R A I T Ein Konstrukteur der großen Gefühle

■ Douglas Sirk, der Regisseur großer Melodramen der 50er Jahre, ist gestorben

Berlin (taz) - Die meisten werden sich erinnern: Wie Zarah Leander, als verlassene Frau, „Ich steh im Regen“ sang. Ihr Regisseur Hans Detlev Sierck ist, außer unter Experten, weitgehend vergessen. Wie Max Ophüls, mit dem ihn auch sonst manches verband, war Sierck Theaterregisseur, bevor er zum Film kam: Er wußte Schauspieler zu behandeln, er hatte Geduld und soziale Phantasie, um sie auf die Höhe ihrer Möglichkeiten zu bringen. Obwohl er kein Nazi war (und das auch sagte), engagierte die UFA den 1900 in Hamburg geborenen Sierck; er drehte in Deutschland „Zu neuen Ufern“ (worin Zarah, mit Willy Birgel als Partner, im Regen stand) und den nicht weniger legendären „La Habanera“. 1937 ging er in die USA und nannte sich fortan Douglas Sirk. Seine Zeit waren die 50er Jahre; die großen Melodramen, die in dieser Zeit entstanden - darunter All That Heaven Allows und Imitation of Life - sind bis heute kaum gealtert. Alles Zeitliche war und ist nur Oberfläche in seinen Filmen; seine Figuren sind häufig rigorose Klischees, seine Stories idealtypisch, manchmal fast groschenromanhaft, immer gewollt unrealistisch. Die wirklichen Geschichten, die er wie kein anderer erzählt, spielen sich im Unterstrom der großen Gefühle ab. Die unbändigen, unbegreiflichen Leidenschaften setzen sich in Sirks Filmen, mit allen Irrtümern, Umwegen und Rückschlägen, gegen die Gegebenheiten von Natur und Gesellschaft durch. Die Helden seiner Filme müssen aufbegehren - gegen Krankheit, biographische Distanz zum ausweglos begehrten Liebesobjekt, verständnislose Umwelt. Die Feindseligkeit derer, die Großen Gefühlen ihre gelernten kleinen Regeln entgegensetzen, ist nicht nur Kontrastmittel, sondern auch Bedingung der emotionalen Radikalität. Er hat immer das Konzentrat gesucht: Wenn er zeigen wollte, wie Spießer auf eine Mesalliance reagieren, dann mußte es Kleinstadt, reaktionäres Denken, Liebe zwischen einem Gärtner und einer großbürgerlichen Witwe sein. Wenn viele Zuschauer von seinen Stoffen aus keine Brücke zu ihrer individuellen Realität bauen können, so liegt das daran, daß seine Filme, wie jede große Kunst, nicht Wahrheit suchen, sondern ihre Essenz, die jeder Rezipient für seine eigenen Verhältnisse verdünnen kann - oder auch nicht. Douglas Sirks Wiederentdecker war Fassbinder; sein Film „Angst essen Seele auf“ ist, als deutsches Remake von „All That Heaven Allows“, das schönste Denkmal für sein Vorbild. Am Mittwoch ist Douglas Sirk 86–jährig in Lugano gestorben. Klaus Nothnagel