piwik no script img

Gespannte Ruhe in Jalalabad

■ Trotz momentanem militärischem Patt herrscht seit dem Waffenstillstandsangebot Alarmbereitschaft in der afghanischen Stadt

Jalalabad (wps) - Gerade in der Umgebung der afghanischen Provinzstadt werden die Narben des Krieges deutlich: die Dörfer in den schneebedeckten Bergen sind teilweise zerstört. Für die Besucher einer von den Behörden organisierten Rundreise verdeckt man dennoch die Zeichen dieses siebenjährigen Krieges nicht. Momentan herrscht hier Ruhe. Keine der Parteien, weder die Regierung noch die Mudjaheddin sind im Vorteil: Militärisch gibt es offensichtlich ein Patt. Jalalabad, das am Anfang des Krieges durch eine Belagerung von der Umwelt abgeriegelt war, ist heute für die Regierung sicher genug, um ausländische Journalisten durchzuschleusen. Als hier am Samstag die 30 (westlichen) Korrespondenten, die in den Vortagen aus Moskau nach Kabul gebracht worden waren, einen Zwischenstopp einlegten, war sogar die Frau des jetzigen Parteichefs Nadjibullah dabei. Im Bazar der Stadt wird trotz des Krieges außerhalb der Stadt gehandelt und verkauft: Radios, Stereogeräte, Lebensmittel und westliche Kleidung, die offensichtlich aus Pakistan über den Hindukusch hierher gebracht wurden. Und die pakistanische Währung ist auf dem Schwarzen Markt gefragt. Aufgrund der ökonomischen Vorteile durch den Grenzverkehr konnte das Kabuler Regime es sich bisher nicht leisten, diesen Handel zu unterbinden. Und auch die Mudjaheddin haben kein Interesse daran, den Krieg in dieser Region zu intensivieren. So kontrollieren die Behörden die Stadt. Die sowjetischen und regierungstreuenafghanischen Truppen sind in Alarmbereitschaft wegen der Guerillas, die den seit Mittwoch geltenden Waffenstillstand nicht einhalten wollen. Der Flughafen und die Zufahrtsstraßen sind durch Soldaten mit Karabinern und Kalaschnikows abgeschirmt. Nach Informationen westlicher Diplomaten in Kabul wären die Mudjaheddin gerade hier aktiv, um den Waffenstillstand zu durchbrechen. Zur Demonstration werden die Journalisten zu einer kollektiv bewirtschafteten Großfarm gefahren, die nur 14 Meilen von der pakistanischen Grenze entfernt liegt. Hier werden Oliven angebaut, um die gesamte Region mit Olivenöl zu versorgen. Und das, obwohl die Kooperative in einem Gebiet am Fuße der Bergriesen liegt, die als Operationsgebiet der Guerilla gelten. Örtliche Parteifunktionäre erklärten, über 700 der 5.000 Landarbeiter seien zur Bewachung der Kooperative eingesetzt. Durch die Angriffe der Mudjaheddin seien Schäden von Millionen Dollar verursacht worden. Die Straße, die durch Jalalabad führt, ist eine der wichtigsten Straßen Afghanistans, weil sie Kabul mit dem Kyber–Paß, also mit Pakistan verbindet. Damit ist diese Asphaltstraße, von denen es in Afghanistan nicht viele gibt, auch eine Hauptschlagader für den Transport von Militärgütern für beide Seiten. Am Samstag waren sowjetische Tanks, aber auch Kamele mit schwer bewaffneten Treibern zu sehen. Obwohl die Straße Tag und Nacht bewacht wird, ist die Regierungskontrolle während der Nacht wirkungslos. Dann tauchen plötzlich Mudjaheddins aus den Olivenhainen auf und verlangen „Steuern“ von den LKW–Fahrern. Wenn die Regierung auch nach außen hin die Kontrolle über die Stadt und die Umgebung hat, so ist dennoch klar, daß die Widerstandskämpfer ihre Wege durch dieses Gebiet finden und überall präsent sein können. Daran ändert auch nichts, daß über 300 Stammesführer aus der Region den Aufruf der Regierung zum Waffenstillstand und Nationalen Versöhnung unterstützen wollen. Kabuler Bürger erzählten uns, die Mudjaheddin gelangten sogar durch den sowjetischen Bewachungsring in die Stadt, um Geld für sich zu sammeln. Und so muß auch Nadjibullah zugeben, daß die meisten ländlichen Gebiete Operationsgebiete des Gegners seien. „In den meisten Dörfern sind die Räte der Nationalen Vaterländischen Front noch nicht gegründet“, erklärte er vorige Woche in einer Rede, „und die Einwohner leben unter dem Einfluß unserer Gegner.“ Das militärische und politische Patt zwischen den Kriegparteien hält weiter an. Doch gerade der Waffenstillstand wie auch der Versuch des Regimes, neue Bündnispartner zu finden, sind Ansätze, dieses Patt zu überwinden. Als Nadjib am Dienstag die Freilassung der politischen Gefangenen verfügte, erklärte er abweichend vom schriftlichen Text: „Wir lassen unsere politischen Gefangenen frei, während Pakistan die ihren weiter in den Gefängnissen einsperrt.“ Gary Lee

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen