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Gräßlich: Schiefer Turm gerade!

■ Eine sowjetische Spezialistengruppe will ausgerechnet das seit Jahrhunderten gepflegte Wahrzeichen von Pisa ins Lot bringen / Bürgermeister über die Idee entsetzt

Rom (taz) - Das hätte den Pisanern gerade noch gefehlt: daß da einer daherkommt und ihr seit Jahrhunderten gepflegtes Wahrzeichen so mir nichts dir nichts geraderückt. Entsetzt hebt Giacomo Granchi, Bürgermeister von Pisa, die Hände: Soeben hat er von der Offerte einer sowjetischen Spezialistengruppe gehört, den „Schiefen Turm“ ins Lot zu bringen. „Die können alles mit dem Torre machen“, sagt er, „nur nicht senkrecht stellen.“ Gerade darein aber legen die Russen ihren Ehrgeiz: „Ein nachträglich gerade gerückter Turm“, doziert ihr Sprecher im Ton eines Nachhilfelehrers, „wäre ein Dokument unserer Zeit: Wo Galilei die Fallgesetze studierte, erprobte sich die höchste Technologie des 21. Jahrhunderts.“ Außerdem: „Wird er nicht saniert, fällt er in den nächsten Jahren um.“ Das allerdings behaupten „Experten“ schon seit drei Jahrhunderten - ohne Erfolg. Die Russen haben aber noch ein Argument bereit: „In der UdSSR haben wir schon Dutzende geneigter Bauwerke aufgerichtet - die Besucherströmne reißen seither nicht mehr ab.“ „Warum sollten wir am Turm herumfummeln“, sagt Mario Bevilacqua, der am Weg zwischen Turm und Dom schiefe Türme in Miniatur verkauft, „wenn ihn die Leute mögen, wie er ist?“ Bürgermeister Granchi hofft sowieso, daß es sich wieder einmal um eines der Hirngespinste handelt, mit denen Pisa seit Jahrzehnten traktiert wird - vom (deutschen) Vorschlag eines hundert Meter hohen Superkrans zum Festhalten über den (amerikanischen) Einfall, dem Boden Zementspritzen zu verpassen, bis zur japanischen Idee eines zweiten Turms mit Gegenneigung. Unlieb sind den Pisanern solche Vorschläge dennoch nicht, bringen sie die Stadt doch wieder einmal ins Touristengedächtnis - ohne Reklamekosten. „Ich verstehe allerdings nicht“, sagt Mario Bevilacqua, „warum sie das Angebot gerade jetzt machen. Normalerweise kommen die Aufrichtungsvorschläge sonst in der Sauregurkenzeit im August.“ Auf diesem Gebiet, so scheint es, brauchen nun die Sowjets wieder Nachhilfeunterricht. Werner Raith

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