: Vom Piratenfunk zum Privatfunk
■ In Berlin geht ein linksalternatives Radio erstmals ganz legal in den Äther
Nachdem die alternative Medienszene über das Nonplusultra der richtigen Strategie lange zerstritten war, zeichnet sich in Berlin ein neuer Trend ab. Statt Vereine gründet man GmbHs und bekommt sogar den offiziellen Segen. Radio 100 hat es im Gegensatz zu Radio Dreyeckland geschafft und eine Sendelizenz für den Äther erhalten. Aber mit kleinen Nischen will man sich nicht zufrieden geben und versucht nun vor Gericht, eine „echte Chance“ einzuklagen.
„Das ist ein lustfeindliches und völlig unerotisches Unternehmen“, haben die Frauen bereits festgestellt. Die Männer haben sich nicht geäußert. Auf jeden Fall ist es ein ungewöhnliches Unternehmen, das sich anschickt, Anfang März in den Äther zu gehen. Vieles von dem, was sich gegenwärtig über dem Medienbuchladen „Kommedia“ an der Berliner Bundesallee abspielt, erinnert an die Gründungszeiten der taz vor 9 Jahren. Man streitet sich mit Nachdruck und Leidenschaft, debattiert ausgiebig und ideologiegeladen über die Gehaltshöhen, auch wenn jeder weiß, daß Schmalhans Zahlmeister sein wird. Seit letztem Freitag, seit der bunte Haufen die endgültige Lizenz für eine terrestrische Radio– Frequenz auf UKW bei 100,6 MHz in der Tasche hat, ist es ernst geworden. Noch hocken die Radiomacher im engen Raum über dem Buchladen auf unbequemen Stühlen und zerschlissenen Sesseln. Dort trifft man sich, dort residiert auch Thomas Thimme, der Geschäftsführer des nach dem Frequenzbereich genannten „Radio 100“ und vormalige Medienreferent der Grünen–Bundestagsfraktion. „Ab Mitte Februar wird trocken gesendet“, zeigt er sich überzeugt. Bis dahin muß freilich noch viel geschehen, denn derzeit steht nicht einmal fest, wo das Radio sein Hauptquartier haben wird. Der Weg zum neuen Radio war weit. Seit im April letzten Jahres der Wettbewerb um die freie Frequenz begann, ist manches über Bord gegangen, was vorher als unverzichtbar galt. Begonnen hat das Abenteuer mit der Gründung des „Anderen Radios Berlin“ (ARB), bei dem sich als Gesellschafter neben dem „Netzwerk“, zweier Verlage, der Medienoperative und des KOB– Kulturzentrums auch die taz mit jeweils 10 Prozent beteiligte. Gegründet wurde daneben ein Förderverein, der über Mitgliedsbeiträge das finanzielle Überleben des ARBs sichern und politisch durch Bestückung mit Prominenten für prima Klima sorgen sollte. Gekommen ist vieles anders; beim einjährigen Rochieren um die Fre quenz wechselten auch mehrfach die Partner. Eine angestrebte Gemeinnützigkeit und ausschließliche Finanzierung über Hörer–Abos fiel unter den Tisch, weil der Kabelrat eine „überwiegende Werbefinanzierung“ verlangte. Partner sind nun das im halbverwaisten Berliner Kabelprojekt aktive „Neue Radio“ mit einem Schwulenprogramm „Eldoradio“ und ein im Kabel tätiger Einzelanbieter. Kurzfristig zugestoßen zur Gruppe ist der SPD–nahe „Linksrheinische Rundfunk“, der seit Mai letzten Jahres in Rheinland– Pfalz auf Sender ist. Der LR Berlin ist eine hundertprozentige Tochter der Wiesbadener Gesellschaft gleichen Namens, in der neben Norbert Schüren vom SPD–Parteirat aus der Vorwärts beteiligt ist. Vier Wochen, so stellen es sich die neuen Radiomacher vor, wollen sie üben, bis Anfang März der Regler aufgedreht wird. Daneben muß mit der Post, mit der GEMA, mit Vermietern und Technikern verhandelt werden, der Bürobetrieb laufen - und für Werbung und stille Gesellschafter gesorgt werden, die das Überleben des Senders ebenso sichern sollen wie die Hörer–Abos. Die Werbung ist das große Problem. „Die Sendezeit ist unter aller Würde“, formuliert es Jürgen Ganzel, Chef der für „R 100“ tätigen „Werbepalette“, zurückhaltend. Denn in der vom Kabelrat zugewiesenen Sendezeit von 19 bis 23 Uhr gehen die Einschaltquoten im Hörfunk in den Keller. „Die Scene verhält sich da nicht anders als die Normalbevölkerung“, weiß Ganzel. Geplant sind eine tägliche, ausschließlich von Frauen für Frauen produzierte Sendung „Dissonanz“, ein Polit–Magazin namens „Großstadtfieber“, eine „Werkstatt für Hörexperimente und außergewöhnliche Musik“, ein „Bezirksradio“, „Offener Kanal“, eine türkischsprachige Sendung und ein schwules Magazin. Wer das alles produzieren soll, ist freilich strittig. Insgesamt 13 Stellen, so Thimme, wird es geben. Die Frauen sprechen allerdings bereits jetzt von einem männerdominierten „Wasserkopf“ in der Verwaltung. Sie klagen auch die überfällige Einrichtung des Aufsichtsrats ein, der laut Vereinbarung der Partner ausschließlich mit Frauen besetzt sein soll. Die Frauen wollen möglichst Kollektiv ihre Sendung produzieren: keine festen Redakteurinnen und unbezahlte „Zuarbeiterinnen“ also, erläutert Gitti Hentschel, ex–taz–Redakteurin und unter den ARB–Mitmachern wohl die mit der größten journalistischen Erfahrung. Damit solle die Vernetzung mit der Frauenbewegung und ihren aktuellen Problemen erreicht werden. Dieses Konzept wird allerdings von der männerdominierten Polit–Redaktion mit Skepsisbetrachtet. Gerd Nowakowski
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