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Pershing–Blockierer vor Gericht

■ Revisionsverhandlung im Prozeß gegen sieben Studenten / Im ersten Verfahren frei gesprochen / Steht die Friedenspolitik der Bundesregierung zur Debatte? / Ein erneuter Freispruch wird kaum erwartet

Von Manfred Hose

Frankfurt (taz) - Im großen Schwurgerichtssaal des Frankfurter Landgerichtes begann gestern die Revisionsverhandlung gegen sieben Marburger Studenten, die am 9.12.83 an einer Blockade des US–Nachschubdepots für Pershing–II–Raketen im Frankfurter Stadtteil Hausen teilgenommen hatten. In einem aufsehenerregenden Verfahren waren die vier Frauen und drei Männer in erster Instanz am 19.6.85 von dem Frankfurter Amtsrichter Christoph Jahr vom Vorwurf der „gemeinschaftlichen Nötigung“ freigesprochen worden. Richter Jahr hatte als Begründung für den Freispruch vor allem angeführt, daß der von der Bundesregierung seinerzeit gefaßte Zustimmungsbeschluß zur Raketenstationierung verfassungswidrig gewesen sei. Die Blockade des Pershing– Depots sei deshalb „nicht ver werflich“ gewesen, sondern werde im Gegenteil durch das grundgesetzlich geschützte Demonstrationsrecht gedeckt. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft wollte der Auffassung des Amtsrichters Jahr damals wie heute nicht folgen. Bereits einen Tag nach dem Freispruch legte sie am 20.6.85 Berufung gegen das mutige Urteil ein. Begründet wird der Revisionsantrag damit, daß kein Widerstandsrecht gegen den „rechtmäßig“ ergangenen Beschluß der Bundesregierung zur Pershing–II–Stationierung zugestanden habe. Außerdem vertritt die Staatsanwaltschaft die Ansicht, die von Amtsrichter Jahr im Verlauf des Prozesses vorgenommene Analyse des Pershing–Raketen–Systems bis hin zur Treffgenauigkeit dieser Atomwaffen gehöre nicht in den Gerichtssaal. Indirekt sprachen sich die Staatsadvokaten damit schon im voraus gegen die Berücksichtigung der im ersten Prozeß erstellten Gutachten renommierter Wissenschaftler aus. U.a. hatte 1985 der Friedensforscher Carl–Friedrich von Weizsäcker in seinem Gutachten ausgeführt, die Pershing–Stationierung diene nicht der Sicherheit der BRD, sondern erhöhe im Gegenteil die Kriegsgefahr. Ob die Berufungsinstanz bei der 5. Strafkammer des Landgerichtes in dem auf mehrere Tage angesetzten Verfahren zum gleichen Urteil kommen wird wie das Amtsgericht in der 1. Instanz, wird allgemein bezweifelt. Beim ersten Prozeßtag, an dem nur das alte Urteil und die Revision der Staatsanwaltschaft verlesen sowie die Angeklagten zur Person befragt wurden, deutete sich zwar noch nicht an, wohin die Prozeß– Reise gehen wird, doch unzweifelhaft ist, daß der Vorsitzende Richter Christian Demuth und die beiden ihn flankierenden Schöffen unter hohem Druck stehen. Denn bei einem erneuten Freispruch der Angeklagten muß - theoretisch - die Bundesregierung vor Gericht: wegen „Vorbereitung eines Angriffskrieges“ durch die Zustimmung zur Stationierung. So sieht es zumindest das sogenannte „Internationale Öko– Institut“ in Bonn.

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