: Wenn Strauß brüllt, freuen sich die Vasallen
■ Hinter den Kulissen der Bonner Fernsehrunde: Kumpanei zwischen Politikern und Moderatoren / Die Große Koalition der Begeisterung über einen offensichtlich indisponierten Franz–Josef Strauß / Unser Reporter hinter den Kulissen
Bonn (taz) - Während die Tagesschau noch die aktuellen Hochrechnungen verbreitet, thronen Bangemann und der Kanzler in der „Maske“ am Schminktisch. Fleißige Helferinnenhände müssen die Gesichter zupudern. Politischer Glanz ist gefragt, kein optischer. Helmut Kohl, im Bewußtsein erheblicher Stimmenverluste, streichelt sich noch einmal mit einer seidigen Bürste durch die Pfälzer Locken. Alles Puder kann seinen Grimm nicht verbergen. Wetterkarte - schnell die Brille vor die unruhigen Äuglein, und los gehts. Friedhelm Ost flüstert letzte Anweisungen ins Kanzler– Ohr (leider unverständlich) und hechelt seinem Chef bis zur Studiotüre nach. Wie eitel Männer sind: Da sitzen sie nun auf ihren Stühlchen und warten aufs Rotlicht. Und alle nesteln nochmal am Anzug, an der Krawatte, am grünen Pullover, recken sich, strecken sich und Willy Brandt fingert die dünn gewordene Tolle ein letztes Mal nach hinten. „Herr Bundeskanzler“, mit bekannt devoter Stimme eröffnet Martin Schulze als Hausherr–Frager den Reigen. Und augenblicklich setzt der Kanzler dem mürrischen Verlierergesicht die Siegermaske auf: „Ich bin schon mit 48 Prozent Oppositionsführer geblieben, jetzt bleibe ich mit 44 Prozent der deutsche Bundeskanzler.“ Sein Sekundant Friedhelm Ost versinkt derweil in den Tiefen eines roten Ledersessels vor dem WDR–Monitor. Die Kohlschen Hohlformeln kennt er, er zeigt keine Regung. Erst als Lukas Beckmann den grünen Erfolg in Worte faßt, rückt der Regierungssprecher näher ans TV. Beckmann: „Ein wahnsinniges Ergebnis“ - Ost zieht, ich schwörs, anerkennend den Mund zusammen und nickt. „Diese Selbstgefälligkeit der CDU“ - Osts Augenbrauen zucken hoch - „Rechtsruck in der Union“ - rechte Augenbraue noch höher - „CDU– Hetze gegen Ausländer“ - eine Spur Grimm huscht über das runde Faltengesicht, die fleischigen Finger trommeln aufs Leder. Einmal quält ihn auch der Seine: „Das Auf und Ab gehört zum Schicksal“, analysiert Helmut Kohl historisch messerscharf, da verkneift Friedhelm voller Leid das Gesicht. Richtig unruhig wird er, als Martin Bangemann den Eindruck erweckt, den Kronzeugen werde es mit der FDP keinesfalls geben. Ost schüttelt entsetzt den Kopf. Doch Bangemann relativiert: Das komme doch auf die sachlichen Gesichtspunkte an. Ost läßt zwei Liter Luft ab.Ansonsten langweilt sich auch Ost beim TV–Pflichtgelaber. Die vorstudierten Versatzstücke der Politiker sind allen ihren Referenten wohlbekannt. Rundherum meist bewegungslose Gesichter. Kontakt können sie zu den Ihren während der Sendung ohnehin nicht herstellen. Einziger Hoffnungsträger gegen die Öde sind „die beiden“, wie sie hier genannt werden: die Moderatoren Martin Schulze und Reinhard Appel, die sich schon in der Wahldiskussion am vergangenen Donnerstqg durch journalistischen Dilettantismus ausgezeichnet hatten. Ihre umständliche Diskussionsleitung, Appels Stottern auf mäßige Beckmannsche Frechheiten sorgen immer wieder für Lachsalven. Die Große Koalition der Schadenfreude und der Häme: Ost, Edi Heußen von der SPD, Lothar Mahling von der FDP und die grüne Begleitergruppe. Und das schon während der ersten halben Stunde - noch bevor die Sendung ihrem grandiosen Höhepunkt mit Franz–Josef Strauß zusteuerte. Plötzlich war FJS auf Sendung - vom bayerischen Kollegen interviewt. Minutenlang versucht Schulze, mit seiner Stimme an die Isar durchzudringen. Es wird ein einziges Chaos: Straußsche Interview– Versatzstücke, dazwischen Schulze als einsamer Rufer. „Ein relativ einmaliger Fall in der Fernsehgeschichte“, entschuldigt Schulze seine Stümperhaftigkeit beim Fernsehpublikum.In der Maske toben die Politiker–Vasallen vor Begeisterung. So grantig und unbeherrscht haben selbst die Insider Strauß noch nie erlebt. Sturzbetrunken müsse der wohl sein, so der einhellige Erklärungsversuch. Das Ritual ist vorbei. Helmut Kohl, wieder ohne Maske in der „Maske“, ist stinksauer. Träge wälzt er sich zum Schminktischchen. „Friedhelm, die neuesten Zahlen, haben wir jetzt 44? Was ist denn?“ - „Ja, vielleicht, doch doch...“ Das Fernsehen meldet gerade, Kohl habe in Oggersheim auch rund zwei Prozent verloren. Herr und Hund interessiert das nicht mehr, sie stampfen davon.Bangemann ist bester Laune. „Aaah, mit der habe ich zusammen studiert“, zeigt er auf die Fernsehansagerin Elfi von Kalckreuth, als habe er eine Prominente entdeckt. „Ach ja“, seufzt er, „nur Maccaroni konnte die leider nicht kochen.“ Wer ihm seitdem seine Maccaroni in großen Mengen gekocht hat, läßt er offen. Und dann purzeln die Moderatoren herein. Appel: „Das war ja leider Kabarett am Schluß.“ Bangemann fands amüsant. „Der Strauß hat Euch doch die langweilige Sendung gerettet, Reinhard.“ Kritische Fragen mit der gebotenen Distanz zwischen Politikern und Journalisten, die gibts nur in der Fernsehshow. Jetzt sind sie ganz intim, die erste und vierte Gewalt im Staate. „Martin, Du warst klasse“, lacht Bangemann seinen Vornamenskollegen an. Der grinst zitronig. Aber keiner weiß, ob der FDP–Vorsitzende das nun tatsächlich ernst gemeint hat.
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