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Zersetzung der Volksparteien

■ Traditionelle politische Verhaltensmuster lösen sich auf / CDU/CSU verlieren die Bauern / SPD zweifelt an Arbeiterklasse

Aus Berlin Klaus Hartung

Das Wahlergebnis zeigt in seinen einzelnen Elementen eine bundesweit so einheitliche Struktur, daß es unzureichend wäre, die Wahl als Quittung für die aktuelle Bundespolitik zu interpretieren. Es wäre denkbar, daß sich zum ersten Mal deutlich eine Tendenz zur Veränderung der Parteienlandschaft abzeichnet. Die CDU/CSU, die großen Verlierer, sind besonders gravierend in den ländlichen Wahlbezirken eingebrochen. Bis zu 8 und zwar sowohl im Norden als auch im Süden. Dieser bundesweite Trend erlaubt es jedoch nicht, einfach einen bäurischen Denkzettel für die CDU–Bauernpolitik zu konstituieren. Aber während im Norden und in Niederbayern den christdemokratischen Verlusten auf dem Land unterschiedliche Gewinne von SPD, FDP und Grünen gegenüber standen, wanderten im Südwesten und auch im Mittelrhein untreue Wähler besonders in die FDP ab. Auf eine Tendenz aber scheint vor allem ein Tatbestand zu verweisen: die katholischen Hochburgen des ländlichen Katholizismus immunisieren sich gegenüber den Hirtenworten. Prozentual sind hier die grünen Gewinne hoch, höher als bei der SPD. Das gilt vom Wallfahrtsort Altötting bis hin zum schwärzesten Sauerland. Die Behauptung, daß die Grünen noch im neunten Monat abtreiben wollen, beeindruckt die Bauern nicht mehr so recht. Ein über vierzig Jahre gültiges politisches Verhaltensmuster für die christ–demokratische Volkspartei löst sich auf. Die zweite Tendenz, die sich ebenso bundeseinheitlich durchgesetzt hat, betrifft die andere Volkspartei, die SPD. Die SPD hat die Großstädte verloren. In Hamburg zwei Direktmandate und in Bayern das letzte Direktmandat. Hier erzielten die Grünen die größten Abwanderungsgewinne. Insbesondere fällt der grüne Triumph in den Universitätsstädten ins Auge: durchschnittlich zweistellige Ergebnisse für die Grünen bis hin zu 21 Freiburg als Spitzenergebnis. Inzwischen ist als Erklärung für diesen Erfolg das „Kir royal“–Theorem im Umlauf, bzw. wird von den an der Arbeiterklasse verzweifelnden Sozialdemokraten in Umlauf gesetzt. Das Theorem besagt, daß die Grünen eine Stammwählerschaft in der luxurierenden alternativen Szene der Großstädte, bei den soften Routiniers des besseren Lebens gefunden haben. Andere Erklärungen sind denkbar: die Grünen sind zweistellig geworden an den Orten, wo sich eben ein alternatives Netzwerk entwickelt hat und wo es vor allem eine florierende Stadtöffentlichkeit mit Stadtzeitungen und Kampagnen gibt. Diese Stadtöffentlichkeit honoriert Protest und Dissens. Und nicht nur Grüne werden damit honoriert, sondern auch beispielsweise die FDP–Abgeordnete Hamm–Brücher erreichte in der Universitätsstadt Erlangen ein Spitzenergebnis. Der Verlust der Großstädte, bzw. der Universitätsstädte trifft die SPD im Kern: damit zersetzt sich eine weiteres traditionelles politisches Muster, das der Verbindung von Arbeiterklasse und aufgeklärter Intelligenz. Der Erfolg der SPD in den nordrhein–westfälischen Städten steht dazu nicht im Widerspruch: dieser Erfolg muß geradezu als ein lokalpatriotisches Protestvotum gegen das restliche Bundesgebiet gewertet werden. Der sozialdemokratische Wahlkampf in NRW war weniger ein Persönlichkeitswahlkampf

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