: Die Waage neigt sich zu Lafontaine
■ Obwohl die Entscheidung über den zukünftigen Parteivorsitz der SPD erst gegen Ende des Jahres fallen soll, hat Oskar Lafontaine die besten Chancen / Der rechte Flügel signalisiert vorsichtige Zustimmung
Wer der Nachfolger Willy Brandts als Parteivorsitzender sein wird, will die SPD noch in diesem Jahr entscheiden. Das war auch schon die einzige konkrete Auskunft, die Bundesgeschäftsführer Peter Glotz auf seiner Pressekonferenz über den Verlauf der Diskussion im Parteirat geben wollte. Dieser Rat, der sich aus dem Vorstand und den Vertretern der Bezirksverbände zusammensetzt, tagte gestern den ganzen Tag hinter verschlossenen Türen. Es ist jedoch keine Frage, daß die Genossen fieberhaft dabei sind zu klären, ob Oskar Lafontaine als Nachfolger Brandts die Mehrheit hinter sich hat. Der Abgeordnete Rudolf Dreßler (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen und dem rechten Flügel zugehörend) drückt das so aus: „Wenn sich unsere Position zu Rot–Grün mit der von Oskar Lafontaine deckt, dann haben wir mit ihm keine Probleme.“ Dreßler kritiserte gestern auch öffentlich den Wahlkampf Johannes Raus und warf ihm vor, keine Regierungsmannschaft vorgestellt zu haben. Langsam kristallisiert sich heraus, daß auch die rechten Sozialdemokraten sich mit Lafontaine und seinen Vorstellungen von Rot–Grün anzufreunden beginnen. Der Hamburger Spitzenkandidat Apel: „Die Grünen sind zwar meilenweit von der Programmatik der SPD entfernt, aber das kann in vier Jahren anders sein. Oskar Lafontaine ist unter den 40– bis 50jährigen Enkeln natürlich die Nummer eins.“ Und sogar Horst Ehmke räumt ein, daß für die SPD eine Mehrheit ohne die Grünen langfristig nicht erreichbar sei. Abweichend davon äußerte sich gestern eine Gruppe rechter SPD–Leute. In einem in Bonn veröffentlichten Papier des „Seeheimer Kreises“, der dem rechten Flügel der Sozialdemokraten zugerechnet wird, wird die SPD vor allem davor gewarnt, ihre Abgrenzung gegenüber den Grünen aufzugeben. Gleichzeitig übt der „Seeheimer Kreis“ Kritik an dem saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine, dem exponiertesten Vertreter des linken Parteiflügels. „Völlig unglaubwürdig“ würde die SPD nach Meinung des „Seeheimer Kreises“ werden, „wenn sie sich im Nachhinein auf eine Auseinandersetzung mit den Grünen konzentriere oder gar auf eine mögliche Option zur Zusammenarbeit spekulierte, anstatt sich auf ihre eigene politische Substanz zu besinnen und die Auseinandersetzung mit der Regierungskoalition zu führen“. Kein Wunder allerdings, daß es in Bonn zu den abenteuerlichsten Spekulationen kommt, wenn über den Stand der Diskussion in der Partei nur vage Informationen nach außen dringen. Stimmt es, daß Hans Jochen Vogel als „Kompromißkandidat“ für den Parteivorsitz bereits aus dem Rennen ist? Was ist mit den Posten für die beiden stellvertretenden Vorsitzenden? Inge Wettig–Danielmeier, die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, meint sybillinisch: „Einen der beiden Stellvertreterposten bekommt auf jeden Fall eine Frau.“ Auch für die Stelle des Geschäftsführers, die zusammen mit der des Parteivorsitzenden neu besetzt werden soll, gebe es eine weibliche Kandidatin mit guten Chancen. Anke Fuchs ist gemeint, aber ob sie sich gegen Interessenten wie Volker Hauff oder Hans–Ulrich Klose durchsetzen wird? Noch in den nächsten Tage soll sich entscheiden, wer die Stelle des Parteischatzmeisters bekommt. Auch hier ist eine Frau im Gespräch: Ingrid Matthäus– Meier. Gegenkandidat: Klaus Wettig. Eine weitere Stelle ist vakant, die des Vorstandssprechers. Günther Verheugen will diese Aufgabe nur noch zwei Monate lang wahrnehmen. Das Personalkarussell dreht sich in der SPD. Vermutlich einer der Gründe dafür, daß alle Gegensätze in der Koalitionsfrage eingeebnet erscheinen. Es will sich eben keiner ins Abseits manövrieren. Tina Stadlmayer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen