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Brieftauben, die Rennpferde des kleinen Mannes

■ Zur 20. Brieftauben–Olympiade dieses Wochenende in Dortmund kamen Delegationen aus 21 Ländern / Beim Taubensport geht es um schnelles und weites Fliegen / Und die Ästhetik der „kleinen Athleten“ soll auch nicht zu kurz kommen

Aus Dortmund C. Kawaters

In der Westfalenhalle 6 flattern, picken und gurren sie in ihren kleinen Käfigen. Meist sind sie grau– schwarz, aber es gibt auch welche mit grünlich oder rötlich schillerndem Gefieder am Hals oder gar braun–weiße Exemplare. Die „kleinen Athleten“, wie sie von ihren Züchtern liebevoll genannt werden, kommen in „Delegationen“ zu je 20 aus 21 verschiedenen Ländern und harren in zwei Klassen ihrer Prämierung. Die 20. Brieftauben–Olympiade am Wochenende in Dortmund hebe die Ruhrgebietsstadt „in den Blickpunkt der Welt“, kündete stolz der Verband Deutscher Brieftaubenliebhaber e.V. Die im Durchschnitt 500 Gramm schweren „Vögel“ und „Weibchen“ können 100 bis 120 Stundenkilometer schnell fliegen und das bis zu 1.000 km pro Tag. Bei diesem schweren Geschäft können sie dennoch 20 Jahre und älter werden. Vor den Käfigen der fliegenden Kraftsportler aus der Tschechoslowakei (Platz 1 in der diesjährigen Olympiade), der BRD (Platz 2) und Rumänien (Platz 3) drängt sich das versierte Publikum. Aber auch aus Cuba (Platz 19), aus Spanien (Platz 18) und der DDR (Platz 7) sind die Züchter angereist. Vorbei sind die Zeiten, da sie zur Nachrichtenübermittlung eingesetzt wurden. Gerhard Cichosz, Züchter und Halter von 170 Brieftauben in Niederkassel, weiß zwar zu berichten, daß „in Japan und Taiwan Brieftauben Kartuschen mit Laborergebnissen von Krankenhaus zu Krankenhaus transportieren“. Im allgemeinen ist es heute aber eine sportive Leistung, die den gefiederten Freunden abverlangt wird: Der Reise– Preisflug. Mit ihren persönlichen Daten in einem Gummiring am Bein werden die Tauben von ihrem Heimatschlag aus zu einem oft Hunderte von Kilometern entfernten „Auflaßort“ transportiert. Bei günstigem Wetter starten alle gleichzeitig. In großem Schwarm streben sie in Richtung Heimat, wo schon der aufgeregte „Taumvatta“ - wie sie hier im Ruhrgebiet heißen - auf seinen Champion wartet. Der Gummiring wird vom Fuß des Ankömmlings abgezogen und in eine „Konstatieruhr“ eingegeben und den Preisträger ermitteln. Doch um „olympiareif“ zu werden, müssen Taube und Züchter schon erheblich mehr zu bieten haben, als pünktlich nach Hause zu kommen. Eine Sporttaube muß optischen Gesichtspunkten wie „Form und Festigkeit des Rückens“ und „Harmonie und Gleichgewicht des Körperbaus „ genügen, muß mindestens 2.000 km im Jahr geflogen und dabei stets im Feld der Ersten zurückgekehrt sein. Soweit zur Klasse der „Kämpfer, der sportlichen, aber oft unscheinbaren Vögel“, wie ein Züchter aus Erlangen beschreibt. Daneben gibts noch die Klasse der „Schönen, Dummen“. Die brauchen nicht so weit zu fliegen, müssen dafür aber optische Trümpfe aufweisen. „Diese Klasse wurde eingerichtet“, erklärt der Erlangener verständnisvoll, „damit die anderen Länder auch mal ne Chance bei der Olympiade haben.“ Denn in Ländern, in denen der Taubensport nicht so weit verbreitet ist, haben es die Fans oft schwer, die Flugkilometer für ihre Lieblinge nachzuweisen. Die Wiege dieses Sports stand in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Belgien. Von den Kollegen im Kohlerevier um Lüttich übernahmen die Ruhrgebietskumpels schnell die Begeisterung. Die Taube wurde zum „Rennpferd des kleinen Mannes“ und in der Mitte der 60er Jahre zählte der Verband über 100.000 Mitglieder. Durch veränderte Wohnbedingungen, immer mehr Mietskasernen, gingen die Möglichkeiten zur Taubenhaltung jedoch erheblich zurück. Zur Zeit hat sich die Zahl der Verbandsmitglieder auf 85.000 stabilisiert. Rund um die Brieftaube und ihre optimale Haltung hat sich ein ganzer Industriezweig mit mehreren Millionen Mark Umsatz organisiert. In der Halle 1 in Dortmund kann der Züchter vom Taubenfutter, das für Reise, Diät oder Paarungszeit das jeweils passende Mischungsverhältnis enthält über komplette Taubenschläge, Arzneimittel bis zu Brieftauben–Fotos und Urkunden alles bestellen oder gleich mitnehmen. „Der Taubensport ist auch deswegen so beliebt, weil es ein Familiensport ist“, lobte denn auch der Züchter aus Erlangen. Davon ist in Dortmund allerdings wenig zu merken: das Publikum besteht zu 99,5 Frauen scheint das richtige Verständnis dafür auch abzugehen. „Irgendwie sehen die doch alle egal aus“, meinte eine Frau vor den Käfigen der „Besten aus Portugal“ zu ihrem Begleiter.

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