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Das Theater, die SED und der Sachverständige

Die Entstehung der in der DDR heftig diskutierten Schweriner Faustinszenierung ist nicht typisch. Die hier geschilderte enge Zusammenarbeit zwischen Theater und Staatsbürokratie ist die - von einigen vielleicht als Regel erträumte - krasse Ausnahme. Die Inszenierung von Faust I/II war der künstlerische Höhepunkt in der Reihe künstlerischer Höhepunkte bei der Verwirklichung der Schweriner Konzeption eines sozialistischen Volkstheaters. „Nach zwei Jahren wird erkennbar: Was 1979 in Schwerin in kühnem Zugriff auf zeitgenössische Lesart und Spielweise entstand, stellt sich als prägnanter Drehpunkt jüngerer Faust–Rezeption überhaupt heraus“, schrieb die Theaterkritikerin Erika Stephan und kennzeichnete damit bereits Anfang 1982 den Wert dieser Inszenierung für die Geschichte des DDR–Theaters. In diesen Theaterabend flossen alle bis dahin gemachten Schweriner Erfahrungen im Umgang mit den Zuschauern, dem Erbe sowie den Volkstheatertraditionen zu einer neuen Qualität sozialistischen Volkstheaters zusammen. Interessant ist, was einige Beteiligte über die Vorbereitung berichten. Fritz Wendrich, 1984: „Schroth, Jaksch und Maaß Schweriner Theatermacher, d.Red. haben den Faust ausgeguckt und vorbereitet und mich als den staatlichen Leiter zum richtigen Zeitpunkt in die Konzeptionsfindung einbezogen. Wir haben hinter verschlossenen Türen versucht, ihn uns anzueignen. Diesen Faust konnten wir nur in diesem Territorium denken, wo es dem Stück gegenüber keine vorgefertigten traditionellen Erwartungshaltungen gab. Ich sehe heute noch vor mir, wie die drei mich davon überzeugen wollten, daß Lore Tappe den Mephisto spielen müsse, wieviel Bildmaterial sie aufgefahren hatten von Frauen, die Männerrollen aus der gesamten Weltliteratur gespielt hatten. Dieses Beispiel soll nur andeuten, daß wir es uns wirklich nicht einfach und uns erst einmal sicher gemacht haben, bevor wir unser Vorhaben den territorialen Leitungen unterbreitet haben.“ Zunächst waren alle einmütig gegen dieses Projekt. Die Reaktion ist verständlich, denn was die Theaterleitung da vorschlug, sah auf den ersten Blick nach unzulässigem Umgang mit dem Erbe aus. Es wurden viele Diskussionen geführt. In ihnen wurde deutlich, daß diesem ungewöhnlichen Vorhaben seriöse Analysen und Wirkungsabsichten zugrunde lagen. Um sich in diesen komplizierten Fragen sachkundig zu machen, taten die Genossen der Bezirksleitung der SED zum ersten Mal etwas, das später bei der Realisierung der kompliziertesten Projekte zu einer guten, nützlichen, von allen Beteiligten anerkannten Arbeitspraxis wurde: Sie konsultierten einen Spezialisten, in diesem Falle den Germanisten Rudolf Dau von der Akademie der Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. Seine Meinung gab letztlich den Ausschlag dafür, daß alle Verantwortlichen sich zu diesem Experiment bekannten, sich aber der Größe des Risikos voll bewußt waren. Mit diesem Beschluß war das Projekt noch keineswegs beim Ensemble durchgesetzt. Bis zur Premiere hat niemand wirklich geglaubt, daß das Konzept funktioniert. Trotzdem haben alle mitgezogen. Lore Tappe, 1984: „Ich wollte den Mephisto nicht spielen. Das ging mir denn doch zu weit. Dann haben wir angefangen zu arbeiten. Es machte Spaß. Aber mißtrauisch war ich noch lange.“ Und Heinrich Schmidt, Darsteller des alten Faust, 1984: „Die Konzeption war natürlich auch für uns sensationell. Noch in der Vorbereitungsphase sollte ich einmal im Zentralvorstand der Gewerkschaft Kunst über das Faust–Projekt sprechen. Ich habe wahrheitsgemäß berichtet, und es gab lautes Gelächter. Deshalb war es mir ein Hochgenuß, als ich dann nach ein paar Monaten einflechten konnte, was draus geworden war.“ Die Inszenierungsarbeit wurde - wie seither für alle großen Projekte - von der SED–Grundorganisation des Theaters unter Parteikontrolle genommen. Renate Ullrich (Leicht gekürzt aus: Renate Ullrich, Schweriner Entdeckungen - Ein Theater im Gespräch, Dietz Verlag, Berlin (DDR) 1986, 192 Seiten, zahlreiche S/W–Abbildungen, 6,30 DM.)

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