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Alles eine Frage der Sonder–Erlaubnis

■ Smog–Alarmstufe eins in Berlin / Fahrverbot: Viele beantragen Ausnahmegenehmigungen / Viele Türken wissen von nichts oder wollens nicht wissen / Smog–Broschüren gibt es nur auf deutsch / Bei den Beratungstelefonen laufen die Drähte heiß

Aus Berlin Brigitte Fehrle

„Sie wissen, daß heute Smog– Alarmstufe eins ist, mit Fahrverbot“, der Polizist bei der Verkehrskontrolle am Reichstag stellt seine Frage routiniert. Seit in der Nacht zum Sonntag die Grenzwerte überschritten wurden und Berlins Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Starnick, Smog–Alarmstufe eins ausgerufen hat, werden hier fast rund um die Uhr die Autos kontrolliert. Der junge Türke in dem dunkelroten VW Polo setzt ein Ausredenlächeln auf. Nein, vom Smog– Alarm wisse er nichts, nein, er höre auch nicht Radio. Aber Ausreden oder auch tatsächliche Unwissenheit ließ die Polizei gestern nicht mehr gelten: „Das kostet Sie 40 Mark, stellen Sie Ihr Fahrzeug hier ab.“ Mehr als 8.000 Autos hatte die Polizei bis zum Sonntag abend stillgelegt. Am Montag dann sind es nur noch wenige, die trotz des Fahrverbots ihre Blechkiste in Gang gesetzt haben. Trotzdem herrscht erheblicher Verkehr auf Berlins Straßen, denn Ausnahmegenehmigungen gibt es zu Hauf. Wer es drauf anlegte und „clever“ war, brauchte bloß zu behaupten, er fahre nach Ost–Berlin oder nach Westdeutschland. In der Kraftfahrtzeugzulassungsstelle in der Kreuzberger Friesenstraße herrschte Riesenandrang. „Ich habe ein behindertes Kind“, begründet eine Frau ihren Antrag auf Fahrerlaubnis. Ein Türke legt seinen Gewerbeschein auf den Schalter, er betreibt eine Fernsehreparatur. „Ich muß dringend fahren, die Leute wollen doch nicht warten“, sagt er und steckt seine Sondergenehmigung in die Tasche. Gefahren ist jeder, der nur irgend konnte. Auf die Idee, man könne sein Auto ja auch stehen lassen, obwohl es schadstoffarm ist, schien keiner zu kommen. „Wieso“, sagt ein älterer Herr im dicken Daimler, und zeigt auf seine orangefarbene Plakette an der Windschutzscheibe, „ich darf doch fahren“. Dabei war die Luft am Montag mittag wirklich zum Schneiden. Eine hohe Konzentration von Schwefeldioxid in Kombination mit Schwebstaub hatte zum Überschreiten der Grenzwerte geführt. Eltern hatten ihren Kinder dicke Tücher vor Mund und Nase gebunden, hilfloser Versuch, den kleinen Lungen zumindest den gröbsten Dreck zu ersparen. Familiensenatorin Schmalz–Jacobsen hatte den Eltern geraten, ihre Kinder möglichst zu Hause zu lassen. Eine von vielen Anweisungen, mit denen der Berliner Senat die Bürger auf den Smog vorbereiten wollte. Doch gerade der Hinweis auf die Kinder versetzt die noch von Tschernobyl geschockten Eltern in Panik: Sie hätten jetzt endgültig die Nase voll, war der einhellige Tenor der Anrufe bei den Sondersendungen der Rundfunkanstalten. Die Smogtelefone des Senats waren ständig besetzt und im Radio wurde gebeten, doch wegen Smog–Auskünften nicht die 110 anzurufen. Vor allem die einsamen Ritter der Straße standen am Montag morgen vollkommen hilflos vor dem Problem, ihren Arbeitsplatz ohne ihr Auto zu erreichen. „Manche stellen sich an, als hätten sie noch nie ne U–Bahn gesehen“, erzählt ein Zugschaffner am Wittenbergplatz, „die wissen noch nicht mal, wie man einen Fahrschein löst“. Die BVG hatte sich auf den Ansturm von Fahrgästen vorbereitet und auf allen Linien Sonderzüge eingesetzt. „Am Montag vormittag sind etwa 350.000 Leute mehr als sonst mit U–Bahnen und Bussen gefahren“, BVG– Pressesprecher Hecht verweist stolz auf den „reibungslosen Ablauf“. Man hat die Lage im Griff. Unberührt vom Smog schien die City. Das Cafe Kranzler war proppenvoll und im KDW war „normaler Montagsverkauf“. Ein Herr im grauen Mantel führt seinen Dackel spazieren: „Wat soll sein, der Hund muß ooch mal.“ Auch die Dame im braunen Nerz läßt sich vom Smog nicht ihren Einkaufsbummel vermiesen und die Über–65jährigen haben ein astreines Alibi: „Wissense, junge Frau, wir ham den Krieg erlebt, det war schlimmer.“ Der Verkehr ist fast wie immer, Lieferwagen und jede Menge Taxen. „Für uns ists wie Weihnachten und Sylvester zusammen“, meint einer der Kutscher am Bahnhof Zoo und rauscht ab. Unberührt von der Luftverschmutzung scheinen auch die 100.000 Ausländer Berlins. In Kreuzberg, Ecke Mariannen– und Naunynstraße, läßt ein Türke seinen Ford warmlaufen. Von Smog– Alarm hat er nichts gehört oder er will es nicht wissen. „Ich fahr doch bloß ein ganz kleines Stück“, sagt er. Auch bei den Verkehrs kontrollen gestern sind es hauptsächlich Ausländer, die dem Fahrverbot zum Trotz am Steuer sitzen. Wirklich Unwissenheit? Der SFB zumindest hat die Smog–Meldung stündlich auch in türkisch und serbokroatisch gesendet. Weitergehende Informationen suchen die Ausländer in ihrer Heimatsprache jedoch vergeblich. Beim Senator für Umweltschutz gibt es die Smog–Broschüren bloß in deutsch. Auch die Ausländerbeauftragte hält keine Informationen bereit. „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“, belehrt der Polizist in der Verkehrskontrolle den jungen Türken und klärt dann doch geduldig auf. Der Smog gehört auch zum Programm der Stadtrundfahrten. „Hier eine Verkehrskontrolle, die wegen des Smog–Alarms aufgestellt wurde“, tönt es durch das Mikrofon in dem Doppeldecker, der zum Reichstag einbiegt. Monsieur Tourist stört die dicke Luft wenig, er zückt die Kamera. Erinnerungen an Berlin im Februar 87: der Reichstag im Smogdunst.

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