: El Salvador: Ein Dorf wird bombardiert
■ Überlebende Bauern haben sich aus ihrem Dorf Laguna Seca bis in die Hauptstadt San Salvador durchgeschlagen, um von dem Massaker zu berichten, das Armeehubschrauber vor drei Wochen begingen / Eine persönliche Geschichte für den taz–Mitarbeiter in Mexiko–Stadt, der ein halbes Jahr zuvor dort zu Gast war
Von Paolo Martin
22. Januar 1987, Der Rundfunk bringt Nachrichten: (...) Neues Massaker der salvadorianischen Armee (...) sieben Menschen sterben bei Bombenangriff auf Laguna Seca (...) darunter drei Kinder von einem, fünf und sechs Jahren (...) Regierung Duarte verweigert Hilfsorganisationen Zugang zum zerstörten Dorf (...). Routine eines sechsjährigen Krieges. Menschenrechtsstatistik. Aber diesmal ist es anders, zumindest für mich: Laguna Seca ist ein Dorf, in dem ich Gast war. Diesmal haben die Toten für mich Gesichter. Juli 1985. Eine Delegation aus den USA ist nach Morazan gekommen. Politiker, Künstler, Journalisten, die sehen wollten, wie die Situation der Zivilbevölkerung in jenen Dörfern im Nordosten El Salvadors ist, von denen die Regierung sagt: hier gibts keine Zivilbevölkerung, nur Subversive. Ich habe den Auftrag, die Gäste zu begleiten. Wir kommen nach Torola. Kaum ein Stein auf dem anderen. Vor sechs Monaten war dies noch ein schmuckes, geschäftiges Dorf - bis die Bombenangriffe begannen. Hier erwarten uns Delegierte der umliegenden Dörfer. Irgendwann ist Agapito dran mit dem Erzählen. Agapito aus Laguna Seca, Campesino, wie alle, Strohhut, Machete und schüchtern–linkische Bewegungen. Er redet zwar auch von Bomben und Toten, aber es ist nicht die immergleiche Leidensgeschichte. Agapito erzählt eine Geschichte der Hoffnung: wie die Unwissenden aufstehen und lernen, wie die Getretenen aufstehen und kämpfen. All die Leidensgeschichten in sechs Jahren Krieg ergeben plötzlich einen Sinn. Später an diesem Abend lerne ich Agapito, den Dichter, kennen, der beißend spöttische Verse über Präsident Duarte und liebevolle Verse über die Guerilleros vorträgt. Und Agapito, den Musicus, der zum Tanz aufspielt und romantische Liebeslieder singt. Noch später Agapito, den Bauernführer, der den versammelten Vertretern von etwa 20 Dörfern erklärt, daß gegen die Politik der Vertreibung und Ausrottung der Regierung nur eines hilft: Organisation und ständige politische Offensive. „Das ist ein Kampf auf Leben und Tod - nicht nur zwischen der Guerilla und der Armee, sondern vor allem zwischen uns, den Armen, und der Regierung...“ Frühmorgens, bevor er aufbricht, erzählt mir Agapito lange Geschichten von seinem Dorf, das in der benachbarten Provinz San Miguel liegt. Seitdem habe ich Lust, Laguna Seca kennenzulernen. Juli 1986: Eine kleine Gruppe Guerilleros bringt uns über steile und geheime Pfade nach Agapito. Im Mondlicht sehe ich zuerst die bizarren Felsen, von denen Agapito mir erzählte, vom Westen aus gesehen hätten sie die Profile der indianischen Vorfahren. Dann sehe ich riesige Mangobäume, dann die kleinen, an die Felsen geschmiegten Steinhäuser. Endlich wieder ein heiles Dorf, endlich wieder Häuser mit Dächern und Gärten und Blumen. Seit mehr als einem Jahr habe ich nur zerbombte Dörfer, verfallene Häuser und zertrampelte oder abgebrannte Felder gesehen. Ich frage Leonardo, den Chef der Guerillaeinheit, wieso hier noch alles heil ist. „Die Armee weiß, daß hier keine Guerillalager sind, daß wir nur ab und zu mal hier durchkommen. Bisher haben sie hier nicht bombardiert, aber sie wissen natürlich auch, daß hier alle mit uns sympa thisieren - frag mal warum, du wirst keine Familie finden, die nicht ihre Toten hätte...“ Als am Morgen das Dorf erwacht, die Kinder auf den Platz unter den Mangos gerannt kommen und die Frauen mit ihren Krügen auf dem Kopf zur Quelle schreiten, sind die Guerilleros schon weiter gezogen. In der Morgensonne sehe ich, was für ein seltsam schöner Fleck Erde dies ist, Felsen, Bäche, alle Abstufungen von Grün, Terrassen mit Maisfeldern, etwa 20 kleine Häuser, kein einzi ges davon mit Fußboden, die armen aus Stein, die ganz armen aus Bambusrohr und Lehm. Hier wächst nichts außer etwas Mais, etwas Gemüse, einige Felder mit Bohnen. Die Kühe sind an einer Hand abzuzählen, Milch gibt es nur für kranke Kinder. In jedem einzelnen dieser Häuser bin ich zu Gast, eingeladen zu Kaffee, Bohnensuppe, Maistortillas - oder, wo die Armut am größten ist, zu einer saftigen Mangofrucht oder einer kostbaren Banane. In jedem dieser Häuser höre ich lange Geschichten über die Revolution, den Aufstand der Armen oder - wie Agapito in einem seiner Gedichte zur Gitarre singt: Ich werd es vielleicht nicht erleben aber das Land wird frei sein und uns gehören oder unseren Kindern. Ich werd es vielleicht nicht erleben weil sie mich vorher schon töten aber dies Land wird reich sein, und unsere Kinder werden singen und nicht mehr weinen und schweigen. Januar 1987: Die Hubschrauber sind nach Laguna Seca gekommen, Agapito ist tot, sein ältester Sohn ist tot, sein Haus ist zerstört, sein Maisfeld niedergebrannt. Die Hubschrauber kamen gegen zehn Uhr morgens und beschossen das Dorf unter den Felsen zwei Stun den lang. Ich stelle mir vor, sie kamen von Westen her, denn dann hört man sie erst, wenn sie schon hinter den Felsen auftauchen und keine Zeit mehr bleibt, Deckung zu suchen. Vier Hubschrauber „UH–1“, heißt es in der Nachricht. Ich habe diese neuen Kampfhubschrauber gesehen. Laserstrahl–gesteuerte Raketen - 48 davon unter jeden Hubschrauber montiert, das macht 192 Raketen auf 20 engzusammenstehende Häuser, etwa eine Rakete pro Einwohner. Dazu je zwei Bord– MGs, deren elektronisches Steuerzentrum im Helm des Piloten untergebracht ist. Die Läufe folgen automatisch der Blickrichtung des Piloten. Was er erblickt, ist Ziel. Wen er erblickt, der ist so gut wie tot. Als der Luftangriff vorbei und drei Kinder, zwei Jugendliche und zwei Erwachsene tot waren, trauten sich die Elitekämpfer des Fallschirmjägerbataillons zu landen. Ich stelle mir vor, auf der Wiese unterhalb des Dorfes. Sie betreten das Dorf nicht, beschränken sich darauf, die Maisfelder in Brand zu setzen, wieder in ihre Hubschrauberflotte zu steigen und nach Hause zu fliegen. Sie wissen, hier gibt es keine Guerillalager, hier wird niemand auf sie schießen. Wenn sie wissen, daß sie es mit Guerilleros zu tun haben, sind sie viel vorsichtiger. Ich habe es ein gutes Dutzendmal erlebt in Morazan, wie uneffektiv diese Luftangriffe gegen die Guerilla sind. Aber irgendwas müssen sie ja tun für das viele Geld, das die USA in ihre Luftwaffe investieren. Also schießen sie auf Zivilisten, die nicht zurückschießen. Die Regierung des Christdemokraten Napoleon Duarte (ein Duzfreund von Heiner Geißler) beschränkt sich darauf, alle Meldungen über das Blutbad in Laguna Seca zu dementieren und dafür zu sorgen, daß weder das internationale Rote Kreuz noch die Presse dorthin gelangen. Doch Agapitos Leute helfen sich selber, auch wenn er selbst jetzt tot ist. Trotz des militärischen Riegels um den Norden der Provinz San Miguel erscheinen vier Tage später überlebende Einwohner von Laguna Seca in der Hauptstadt, um dem Erzbischof und der Presse zu berichten. Warum mußte Laguna Seca zerbombt werden? Ganz einfach: weil Duarte und seine Generäle recht haben: in diesen Dörfern leben tatsächlich nur Subversive, wenn auch unbewaffnete. Hier wohnen die Eltern von Guerilleros und die zukünftigen Guerilleros, weil alle Häuser offenstehen für durchziehende Guerilleros, die sich am Feuer trocknen und am Kaffee und an den Gesprächen mit ihresgleichen wärmen wollen. Weil hier Menschen wie Agapito wohnen, dessen Lieder und nächtliche Reden ebenso subversiv und gefährlich sind wie die Gewehre der Guerilla.
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