P O R T R A I T „Er ist einer von uns“

■ Gewerkschafter zollen dem früheren Betonfacharbeiter Respekt / Mit der Dachlatte gegen Protestierer

Betroffen sind sie alle von dem plötzlichen Rücktritt Holger Börners. Ganz egal, ob sie sich nun dem linken oder dem rechten Lager in der Sozialdemokratie zuzählen: Der volkstümliche Ministerpräsident war eine beliebte Identifikationsfigur besonders für die sozialdemokratischen Gewerkschafter. „Er ist oft in unsere Sitzungen gekommen“, berichtet der Vorsitzende der SPD–Betriebsgruppe im Kasseler VW–Werk, Reinhard Moser, „und da hat man einfach gemerkt: Er ist einer von uns.“ Holger Börner hat den Stallgeruch des aus kleinen Verhältnissen Aufgestiegenen, der aber seine Herkunft nie verleugnet und vergessen hat; obwohl es ihn eigentlich nicht sonderlich lang an der Basis gehalten hat: Mit 26 Jahren zog der gelernte Betonfacharbeiter 1957 als damals jüngster Abgeordneter in den Bundestag ein, in dem er bis zu seinem Wechsel ins Amt des hessischen Ministerpräsidenten 1976 den Wahlkreis Kassel mit satten sozialdemokratischen Mehrheiten polsterte. Holger Börner, der Arbeiter, Gewerkschafter, der Mann von ganz unten, kletterte in seinen 19 Bonner Jahren ziemlich schnell ziemlich weit nach oben: Er wurde parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium (1967–72), danach Bundesgeschäftsführer der SPD. Es war eine Karriere auf dem breiten Fundament der rechten Sozialdemokratie, begünstigt durch seine fixe politische Intelligenz und seinen unverwechselbaren Habitus: Auch im Nadelstreif noch schien er der zu sein, dem man die schwieligen Hände vom Bau glaubt. Als rechter Sozialdemokrat übernahm er auch das Amt des hessischen Ministerpräsidenten, und seine erste Aufgabe war zunächst, die in Flügelkämpfe zerrissene hessische SPD „wieder auf Vordermann zu bringen“. Holger Börner, das war seinerzeit schon eine Symbolfigur für das rechtssozialdemokratische Wachstumsmodell geworden: Er zeigte Bereitschaft, in Hessen eine atomare Wiederaufbereitungsanlage bauen zu lassen, er setzte über alle innerparteilichen Widerstände hinweg und gegen eine vom Protest aufgewühlte Region die Startbahn West am Frankfurter Flughafen durch. Vielleicht konnte nur einer wie er, der die Dachlatte gegen alle Protestierer schwingen wollte, seine rechte Parteibasis in die Zusammenarbeit und schließlich die Koalition mit den Grünen führen. marke