: Aus Sozialhilfeempfängern Volkszähler gemacht
■ Schon bei der Suche nach Volkszählern kam es zum Datenskandal: im nordrheinwestfälischen Viersen wurden Sozialhilfeempfänger–Daten einfach an das Statistische Amt weitergegeben / Gelockt wird mit Extra–Lohn
Von Vera Gaserow
Berlin (taz) - Das ist nun wirklich eine peinliche Angelegenheit, die da in dem 80.000–Einwohner– Städtchen Viersen passiert ist. Da bemüht man sich nun seit Monaten, das Vertrauen der Bevölkerung in die Volkszählung zu stärken, führt kluge Worte wie Akzeptanz, Datenschutz und Abschottung im Mund, läßt das Ganze auch noch millionenfach drucken und dann das: da kriegen vor einigen Tagen 28 Viersener Sozialhilfeempfänger/innen unerwartete Post vom Stadtdirektor, genauer gesagt vom Amt für Wirtschaftsförderung und Statistik, worin sie der Leiter dieses Amtes höchstpersönlich zu der Bewerbung um die Stelle als ehrenamtlicher Volkszähler begrüßt. Nur: beworben hatten sich die Sozialhilfeempfänger nie. Sachbearbeiter des Viersener Sozialamtes hatten sie ohne ihr Wissen zu Volkszählern erkoren und ihre Namen und Adressen an das Amt für Statistik weitergeleitet. Nun steht zwar im § 9 des Volkszählungsgesetzes, und darauf ist man sehr stolz, daß die Erhebungsstellen „räumlich, organisatorisch und personell von anderen Verwaltungsstellen zu trennen sind“. Aber in Notfällen läßt sich eben eine solche Trennung rasch überwinden. Und ein Notfall war es ja wohl tatsächlich, in dem sich die Stadt befand. Denn rund 400 Volkszähler müssen hier auf die Beine gebracht werden, aber aus dem öffentlichen Dienst meldeten sich nur wenige. Ganz unkonventionell hatte man deshalb schon Verwandte der Staatsdiener gleich mitangeworben, denn „die sind ja genau so vertrauenswürdig wie die Angehörigen des Öffentlichen Dienstes“, meint der stellvertretende Leiter des Statistischen Amtes, Herr Schrörs. Schließlich könne man sich die Volkszähler ja nicht einfach von der Straße holen, da könnten dann ja auch Grüne dabei sein, „und die boykottieren uns das dann“. Aber auch die Aufbietung ganzer Familien von öffentlich Bediensteten konnten die Reihen der Volkszähler in Viersen nicht schließen, und so suchte man Hilfe bei einem anderen Amt. Schließlich fängt das auch mit ei nem großen S an. „Ausgewählte und verschwiegene Hilfeempfänger“ sollten die Sachbearbeiter des Sozialamtes dem Amt für Statistik nennen, und so geschah es auch. Noch bevor das Sozialamt die Auserwählten fragte, ob sie mit einer solchen Tätigkeit und einer Weiterleitung ihrer Daten an das Statistische Amt einverstanden wären, hatten fast 30 Sozialhilfeempfänger schon eine Emp fangsbestätigung ihrer „Bewerbung“ mitsamt einem Personalfragebogen im Briefkasten. Absender: Herr Ellerhold, der Leiter der gut „abgeschotteten“ Volkszählungsbehörde. Solcherart schon von den Vorzügen eines funktionierenden Datenschutzes überzeugt, sollten die Sozialhilfeempfänger dann - im Vorgriff auf die Volkszählung - einen Bogen ausfüllen, um ihre Qualifikation für das staatsbürgerliche Ehrenamt als Zähler unter Beweis zu stellen: verheiratet, verwitwet, geschieden? Vorstrafen oder Behinderungen? Kinder, Ehefrau, Auto oder Fahrrad vorhanden? Bei wem zuletzt wie in Lohn und Brot gestanden und Adresse desselben? Zugegeben, „eine peinliche Angelegenheit“, nennt man im Viersener Statistiker–Amt die Weitergabe von Sozialhilfeempfängerdaten. Querverbindungen zwischen Sozial– und Statistikamt gäbe es deshalb aber keineswegs, und auch der Datenschutz habe keinen Schaden erlitten. Man sei irrtümlich davon ausgegangen, daß das Sozialamt die Betroffenen bereits um Einverständnis gebeten habe - für das, was man allerdings ohnehin längst getan hatte. „Ein Mißverständnis“, entschuldigt der stellvertretende Statistikamtsleiter Schrörs, „aber so was kann schon mal passieren.“ Außerdem hat man es ja auch nur gut gemeint mit den Sozialhilfeempfängern. Rund 600 Mark könnten sie sich durch die Zählertätigkeit dazu verdienen, und im Gegensatz zu allen anderen Einkünften würde dieser Zuverdienst ausnahmsweise nicht auf die Sozialhilfe angerechnet. Dieses ungewöhnliche Verfahren habe man auch anderen Gemeinden auf Empfehlung von Frau Ministerin Süssmuth höchstpersönlich anheimgestellt, erklärt dazu das nordrheinwestfälische Sozialministerium auf Anfrage. Nur, im Hause von Frau Süssmuth weiß man von einer solchen Empfehlung partout nichts. Nunja, offensichtlich auch hier ein Mißverständnis. Da funktionieren die Querverbindungen zwischen zwei kleinen Viersener Behörden allemal besser als zwischen zwei großen Ministerien!
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