: Kinder wühlen im Müll nach Eßbarem
■ Drei ausländische Ärzte und Krankenschwestern schildern in zwei Berichten die Situation in dem Palästinenserlager Borj al Brajneh im Süden Beiruts
Bericht vom 23. Januar 1987 Das Lager ist seit zwölf Wochen von der Außenwelt abgeschnitten und ständigen Angriffen ausgesetzt. Zusammen mit den 25.000 Bewohnern sind wir Entbehrungen und Elend unterworfen. Trinkwasser ist das wichtigste menschliche Bedürfnis. Die meisten Häuser haben kein fließendes Wasser, und es muß unter großem Risiko für die persönliche Sicherheit täglich von öffentlichen Wasserstellen auf den Straßen geholt werden. Mehrere Frauen sind von Scharfschützen erschossen worden, als sie Wasser für ihre Familien holen wollten. Die Lebensmittelvorräte sind erschöpft. Es gibt weder Babynahrung noch Milch. Säuglinge müssen Tee und Wasser trinken. Das Mehl ist ausgegangen, daher gibt es auch kein Brot mehr. Vor allem Schwangere und Kinder leiden unter der Unterernährung, weil es kein frisches Obst und Gemüse mehr gibt. Die Leute ernähren sich von Konserven und haben mit Erbrechen und Durchfall zu kämpfen. Viele Familien haben jetzt überhaupt nichts mehr zu essen. Jeden Tag können wir weinende Frauen sehen, die um Nahrung für ihre Kinder betteln. Derzeit ist Winter, und der Strom ist vor zweieinhalb Monaten abgestellt worden. Die Leute frieren, und viele leiden an Erkrankungen des Brustkorbs. Berge von Abfall liegen auf den Straßen, können nicht beseitigt werden und ziehen Ratten an. Eine bettlägerige alte Frau war nicht in der Lage, aufzustehen und Hilfe zu holen, als Rattten ihren Mantel anknabberten. Erst nach drei Tagen konnte sie gerettet werden. Der ständige Beschuß der Lager zwingt die Leute, sich in schlecht gelüfteten Bunkern ohne sanitäre Anlagen zusammenzudrängen. Viele Kinder haben Krätze und einige ernste Hautkrankheiten. Etwa 35 Prozent der Häuser des Lagers sind in diesem Krieg zerstört worden. Im Krankenhaus sind viele Medikamente und das Verbandszeug ausgegangen. Infolge mehrfachen Beschusses ist das Gebäude instabil. Mehrere Krankenschwestern und Patienten erlitten Verletzungen. Alle Fenster des Krankenhauses sind zu Bruch gegangen, Heizung gibt es nicht. Da der Wassertank (auf dem Dach, d.Red.) beschädigt wurde, läuft das Wasser die Wände herunter und spült Schlamm in die Räume. Bericht vom 8. Januar 1987 Wir werden immer noch belagert und nun beginnt die Bevölkerung zu verhungern. Wir haben Kinder gesehen, die in Müllhaufen nach Eßbarem wühlen. Heute wurde eine Frau erschossen, als sie versuchte, am Rande des Lagers Gras für ihre sieben Kinder zu sammeln. Einige Frauen und Kinder haben das Risiko auf sich genommen, das Lager zu verlassen, und mehrere kleine Kinder wurden festgenommen. Manche, die nichts mehr zu essen haben, verzehren Hunde und wilde Katzen, um zu überleben. Wir appellieren an alle Parteien, die Kämpfe einzustellen, und an die Vereinten Nationen, sich für einen sofortigen Waffenstillstand einzusetzen, damit die internationalen Hilfsorganisationen Lebensmittel und Medikamente in die Lager bringen können und dieses Massaker beendet wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen