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Internationale Asyl–Konferenz in Bern

■ 50 Experten aus neun europäischen Ländern sowie aus Australien, Kanada und den USA verhandeln hinter verschlossenen Türen / Datenaustausch über Asylbewerber?

Aus Bern Thomas Scheuer

Das in ein hochmodernes Studienzentrum umgerüstete Schloß Gerzensee bei Bern ist im Besitz der Schweizerischen Nationalbank, die dort in mehrwöchigen Seminaren Banker aus Dritte–Welt–Ländern in Sachen Weltwirtschaft zu trainieren pflegt. Von Mittwoch bis Freitag dieser Woche trafen sich dort auf Einladung und unter Vorsitz der Schweizer Regierung rund 50 Experten aus neun europäischen Ländern und aus Australien, Kanada und den USA sowie der UNO–Hochkommissar für Flüchtlinge, um eine „Koordination der Strategien“ in der Asylpolitik zu beratschlagen. Die Gerzensee–Konferenz schließt an entsprechende Treffen an, die im November 1985 in Stockholm und im April 1986 in Den Haag stattfanden. Was auf dieser „Geheimkonferenz“ (Basler Zeitung) konkret diskutiert wurde, war bis zur Abschlußpressekonferenz nicht zu erfahren - sie war gegenüber Presse und Öffentlichkeit total abgeschottet. Laut Schweizer Quellen geschah dies auf ausdrücklichen Wunsch einiger ausländischer Delegationen, die sogar mit ihrem Fernbleiben gedroht haben sollen, falls die Schweiz „diskretes Arbeiten“ nicht garantiere. So leitete der Schweizer Flüchtlings delegierte Peter Arbenz als Leiter der Konferenz entgegen seiner Zusage nicht einmal die Dossiers verschiedener asylpolitischer Gruppen an die Teilnehmer weiter. Das hätte, so erläuterte er einer aufgezogenen Mahnwache, schon aus sprachlichen Gründen, keinen Sinn gehabt. Ein Sprecher des UNO–Flüchtlings–Hochkommissars bestätigte gegenüber der taz, daß einige „Regierungen kein Interesse daran haben, das Problem öffentlich zu diskutieren.“ Immer wieder wurde betont, es handele sich um „informelle Konsultationen“ auf Expertenebene. Diskutiert wurde in Gerzensee offenbar die sogenannte „Erst– Asyl–Regelung“. Diese sieht vor, daß bereits in einem Land abgewiesene Asyl–Bewerber auch in keinem anderen Vertragsland Asyl bekämen, was ein umfangreiches Informationsnetz und einen gewaltigen Datenaustausch über Asylbewerber voraussetzen würde, um eine erneute Prüfungsprozedur in einem Zweit– oder Drittland zu erübrigen. Schließlich wurde wohl auch eine einheitliche Lagebeurteilung - vor allem der Zustände in Sri Lanka - versucht. In der Schweiz läuft derzeit (am Vorabend einer Volksabstimmung über die Verschärfung des Asyl–Gesetzes) eine heftige Auseinandersetzung um die von der Regierung geplante Zwangsrückschaffung von Tamilen nach Sri Lanka; andere Regierungen lehnen Rückschaffungen von abgewiesenen tamilischen Asylbewerbern wegen der dortigen Bürgerkriegswirren bisher strikt ab. „Um das Schweigen der Konferenz zu brechen“, lud die Asylbewegung am Donnerstagabend zu ihrem dritten „Banquet Republicain“ ein. Die Tradition der republikanischen Bankette geht auf die Zeit der französischen Restauration unter Napoleon zurück, als öffentliche politische Versammlungen strikt verboten waren und die kritischen Geister sich deshalb zu großen Mahlzeiten zusammenfanden, bei denen dann eben auch diskutiert wurde. Zu dem Solidaritäts–Gelage am Donnerstag in Bern reisten etwa 350 Teilnehmer aus der ganzen Schweiz, darunter mehrere Abgeordnete, Geistliche und Professoren sowie zwei Kapuzinermönche aus Luzern an. An die Zurückweisung jüdischer Flüchtlinge an den Schweizer Grenzen während der Nazi–Zeit unter der Losung „das Boot ist voll“ erinnerte der Schriftsteller Peter Bichsel seine Landsleute: „Wir haben aus unserer damaligen Schuld nichts gelernt. Wir ha ben nur die Entschuldigungen gelernt, und wir wiederholen mit diesen Entschuldigungen die dunkelsten Flecken unserer Geschichte.“ Den gestrigen Freitag erklärte die Berner Studentenschaft zum Aktionstag mit Alternativprogramm; auch fünf Professoren verschiedener Fakultäten widmeten ihre regulären Vorlesungen asylpolitischen Grundsatzfragen. Das republikanische Bankett hätte ursprünglich übrigens direkt in Gerzensee stattfinden sollen; aber die dortige Kirchengemeinde wollte sich nicht demonstrativ gegen die Nationalbank stellen, der das Zentrum ja gehört. „Die Schweizer machen lieber Geschäfte mit Ausländern, als daß sie ihnen Platz machen,“ kommentiert der Gerzenseer Pfarrer Hans– Ulrich Schäfer die bekanntermassen unterschiedliche Durchlässigkeit der eidgenössischen Grenzen für Fluchtgelder und Fluchtmenschen. Pfarrer Schäfer würde einen Asylbewerber notfalls auch persönlich verstecken. Isoliert, so der Kirchenmann, sei er ob seines Engagements keineswegs; der Kirchengemeinderat stehe hinter ihm, habe eine Petition an die Regierung vollzählig unterschrieben. Als im vergangenen November der Tamile Vasan ausgewiesen werden sollte, „bestanden Pläne, ihn wenn nötig zu verstecken.“ Vasan wird mittlerweile von einzelnen Gemeindemitgliedern betreut. Der Tamile arbeitete übrigens - in der Küche von Schloß Gerzensee.

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