I N T E R V I E W Eigener Weg und richtiges Tempo

■ Jin Xiangtian ist stellvertretende Leiterin der Abteilung für internationale Beziehungen im Ministerium für Außenwirtschaft und Außenhandel der VR China

taz: Warum kommt eine Delegation chinesischer Wirtschaftsplaner ausgerechnet in die Bundesrepublik, was erwarten sie hier zu lernen? Madame Jin: Wir in China machen jetzt eine eigene Politik. China gehört einerseits zu den Entwicklungsländern, andererseits unterscheiden wir uns aber auch von anderen Entwicklungsländern. Wir sind auch nicht wie andere sozialistische Länder, wir müssen unseren eigenen Weg finden. Und welcher Weg zur heutigen chinesischen Situation paßt, das überlegen wir im Moment ganz besonders. Wir wollen die Planwirtschaft, aber vielleicht sollten wir auch einige marktwirtschaftliche Elemente als Ergänzung haben? Also fragen wir uns, wie kann man die beiden Sachen gut kombinieren? Was sind zur Zeit die Hauptprobleme, vor denen die chinesische Wirtschaft steht? Unsere wichtigste Frage heißt: Welche Wachstumsrate ist gut? Soll die Wirtschaft sehr schnell wachsen oder besser ein bißchen langsamer? Seit der Zerschlagung der Vierer– Bande sind jetzt zehn Jahre vergangen und wir haben verschiedene Stufen der Wirtschaftsentwicklung gehabt. Zum Beispiel vor fünf Jahren, da haben wir uns zu schnell entwickelt. Was heißt zu schnell? Zu schnell angesichts fehlender Rohstoffe und Energie. Aber auch im Hinblick auf die Öffnungspolitik. Die Öffnungspolitik ist richtig, das sollen wir immer weitermachen, aber das können wir auch nicht zu schnell entwickeln, wir müssen die Öffnung unserer heutigen Situation gut anpassen. Welche Geschäfte mit ausländischen Kapitalanlegern werden bevorzugt? Es gibt eine Kooperation zwischen deutschen und chinesischen Betrieben seit einigen Jahren, zum Beispiel mit Siemens und VW. Es ist eben ein bißchen leichter mit größeren Betrieben. Aber ich glaube für beide Länder sind die kleinen und mittelständischen Betriebe sehr wichtig. Im letzten Jahr hat unser Ministerpräsident mit Herrn Späth einen Industriepark als Pilotprojekt vereinbart. Mit diesem Pilotprojekt versuchen wir, einige Erfahrungen zu sammeln. Die Unterschiede zwischen den Regionen, das ist für uns eine große Schwierigkeit. Die Küstenprovinzen entwickeln sich in China zum Beispiel sehr schnell, aber die anderen Regionen, Minderheitengebiete, Grenzgebiete und alte revolutionäre Gebiete hinken weit hinterher. Seit dem letzten Jahr hat unsere Regierung eine neue Politik, das heißt, die anderen Regionen müssen diese armen Gebiete unterstützen. Die Modernisierungspolitik ihrer Regierung hat ja in der letzten Zeit auch Proteste ausgelöst, die ungewöhnlich massiv waren. Welche Bedeutung haben die Aktionen etwa der Studenten? Ich glaube, die jetzigen Studenten–Proteste haben keine große Bedeutung. Die meisten Leute sind dagegen. Aber Ihre Regierung hat sehr zurückhaltend gehandelt... ..ja, ja, sehr vorsichtig. Das war nicht wie in Deutschland, wo die Polizei kommt und gegen die Studenten kämpft. Stattdessen ist der Oberbürgermeister in die Universität gegangen, um den Studenten etwas zu erklären. Sie haben also nicht den Eindruck, daß sich da eine harte Opposition herausgebildet hat? Wir meinen, daß die Hauptgründe für diese Demonstrationen darin liegen, daß die Studenten einige Einflüsse von westlichen Ländern haben. Aber die verstehen nicht ganz, was in den Westländern gut für uns ist und auch nicht die Geschwindigkeit der Öffnungspolitik. Die Studenten denken immer sehr fortschrittlich und sehr schnell. Aber die meisten Bürger können da nicht folgen. Das ist zur Zeit die Hauptaufgabe unserer Regierung: das verantwortliche Tempo für unsere Entwicklung zu finden. Das Gespräch führte Georgia Tornow