: Ökonomie des Vogelkäfigs
Die chinesische Öffnungs– und Modernisierungspolitik hat noch kein Ökonomiekonzept. Ein neues Paradigma für Chinas Planer und Wirtschaftsexperten wurde immer wieder zwischen Reformern und Konservativen in Politbüro und ZK zerrieben. Bisher haben sich die beiden Fraktionen über Flügelkämpfe hinweg nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. Und der heißt „Vier Modernisierungen“ in der Wirtschaft und „Vier Grundprinzipien“, was den gestrengen ideologischen Überbau anbelangt. Einst von Mao Zedongs Nachfolger Hua Guofeng ersonnen und seit 1978 von Deng Xiaoping in der Wirtschaftsreform umgesetzt, verlangt die Vorgabe nur sehr vage die Moderni sierung von Landwirtschaft, Industrie, Wissenschaft und Technik sowie des Militärs. Die Grundprinzipien hingegen wachen darüber, daß die Diktatur des Proletariats, die Vorherrschaft von Sozialismus, KP, des Marxismus– Leninismus und die Mao Zedong– Idee nicht angetastet werden. Wann immer Zweifel in der Volksrepublik über neue Vorhaben in der Wirtschaft auftauchen, macht der Begriff von der „Ökonomie des Vogelkäfigs“ die Runde, will heißen: Drinnen darf mit Wirtschafts–Sonderzonen, Auslandskapital und Westöffnung experimentiert werden, solange der Rahmen nicht angekratzt wird. Der aber ist und bleibt der Sozialismus. In jetzt neun Jahren Reformpolitik suchten die Chinesen verschiedentlich Vorbilder: Von den Wirtschaftsexperten des Prager Frühlings über das „Modell Ungarn“ bis zum Lernen von Taiwan und sogar von Japan wurde alles mögliche andiskutiert. Die eigene Wirtschaftsrealität bekamen Chinas staatliche Planer und selbsternannte Marktstrategen damit noch nicht in den Griff. Die einst stolzen Devisenreserven aus den Tagen der Losung „Vertrauen auf die eigene Kraft“ sind in den letzten fünf Jahren von 18 Milliarden US–Dollar auf unter zehn Milliarden abgesackt - allzu oft durch den Einkauf von Konsumgütern und Investitionen im Bereich der Touristikindustrie. In diesem Bereich soll deshalb jetzt gekürzt werden. 1.200 Projekte mit einem Gesamtvolumen von 7,75 Milliarden Yüan (zwei Milliarden Mark) möchten die Chinesen nun nicht mehr verwirklichen. Zum Ausbau zu einer Industrienation fehlt dem Entwicklungsland China zu allererst eine gut funktionierende Infrastruktur und nicht etwa devisenbringende Hotelbauten. Doch selbst die Reform in der Landwirtschaft, die durch den Abschied von den Volkskommunen anfangs Rekordernten gebracht hatte, ist heute nicht mehr unumstritten. Die reichgewordenen Bauern beteiligen sich nicht mehr an der Feldarbeit. Sie investieren vielmehr in lokale Leichtindustrie, und China muß wieder Getreide einführen. Doch das sind kleine Probleme zu denen, die auf die KPCh nach der Reform in den Städten in den letzten zwei Jahren zukamen. Denn dort sollen Profimanager in den Fabriken den alten Parteikadern die Führung aus den Händen nehmen. Da geht es nicht um ein neues Modell für Chinas Wirtschaft, sondern ganz einfach um Erhaltung von Macht, Einfluß und Prestige von alteingesessenen Familien und Beziehungsclans. Denn nicht selten werden solche Verbindungen schamlos ausgenutzt, um die ansonsten mageren Kadergehälter für die gesamte Familie aufzubessern. Ein Grund, warum Hu Yaobang als KP General–Sekretär Anfang dieses Jahres seinen Hut nehmen mußte, war dann nicht etwa, daß er die Reform zu vehement betrieb, westliche Ideale propagierte oder dem Kapitalismus huldigte. Nein, er wollte nur mit dem Dickicht der Vetternwirtschaft in den höchsten Spitzen der KPCh aufräumen. Jürgen Kremb
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