„Wodka–Cola“ oder: Was Moskau mit dem neuen Joint–Venture–Gesetz vorhat

■ Gemeinschaftsunternehmen zwischen sowjetischem Staatskapital und westlichem Privatkapital sollen einer der Pfeiler von Gorbatschows Wirtschaftsreform werden / Ausländische Firmen dürfen bis zu 49 Prozent der Anteile besitzen / Gewinne aus dem Exportgeschäft dürfen ins Ausland transferiert werden / Mehr als hundert Projektangebote gibt es schon aus dem Westen / Einige davon werden in den folgenden fiktiven Szenen vorgestellt

Von Alice Meyer

Herbst 1990 in Moskau. Der Westberliner Pauschaltourist wird mit seiner Reisegruppe ins alte Arbat–Viertel geführt. Er erblickt einen riesigen Hotelneubau, neben dem sich die historische Bausubstanz aus dem 18. und 19. Jahrhundert lächerlich klein ausnimmt. Mit sichtlichem Stolz verkündet die Reiseführerin: „Dieses Hotel ist das erstes in der UdSSR, in dem sowjetisches und amerikanisches Kapital gemeinsam arbeiten. Intourist hält 51 die Fluggesellschaft Pan Am und US–Reisebüros zusammen 40% der Anteile. Unsere amerikanischen Partner haben sich schon anerkennend über die gute Bettenauslastung geäußert. Der Hotelbetrieb bleibt in den ersten zwei Jahren von der Steuer befreit. Gäste können natürlich nur Touristen und Geschäftsleute aus Ländern mit frei konvertibler Währung sein, weil Gewinne in Rubeln nicht in Hartwährung umgetauscht werden dürfen. Über weitere Projekte dieser Art auf der Krim und bei Riga wird gegenwärtig verhandelt.“ Einem anderen neuen Gebäude entströmt jener satte Geruch, den der Tourist von den Fast–Food– Ketten her kennt. Und da kommt ihm auch schon eine Gruppe usbekischer Kolchosbauern in malerischen Tjubetjejkas, Schaftstiefeln, weiten Hosen und ordengeschmückten zerschlissenen Jacketts entgegen, die sich an Pommes Frites und Hamburgern laben. Ein Kriegsveteran aus Taschkent mit dem Big–Mac in der Hand hat einen Platz im Fotoalbum sicher. Leicht irritiert beeilt sich die sowjetische Reisegruppen–Betreuerin mit ihrer fachkundigen Erläuterung: „Unsere amerikanischen Partner von McDonalds haben sich begeistert über den vorzüglichen Geschäftsgang in diesem neuen Schnellrestaurant geäußert. Der Andrang ist, wie Sie sehen, enorm.“ McDonalds loben die subventionierten Großhandelspreise bei Mehl, Kartoffeln, Speisefett, Fleisch, Zucker, Salz und Zwiebeln. Einige Touristen fühlen sich an den Werbefeldzug des 1989 neugegründeten sowjetisch–amerikanischen Joint Venture „Wodka– Cola“ erinnert, das in den USA mit großen Farb–Plakaten wirbt: ein amerikanischer Farmer und ein sowjetischer Kolchosbauer umarmen sich, wobei der Yankee eine Flasche „Moskowskaja“, der Russe eine Flasche Cola an den Mund setzt. In den Moskauer Valuta–Geschäften der „Berjoska“– Kette allerdings trinkt der Amerikaner nicht Wodka, sondern Mineralwasser aus Kislowods. Hamburger für Rubel Die sowjetische Intourist–Betreuerin arrangiert ein Gespräch mit dem Generaldirektor der McDonalds–Niederlassung in Moskau, Pjotr Pawlowitsch Iwanow. „Mein technischer Direktor und mein Arbeitsdirektor sind Amerikaner. Wir haben hier schließlich überwiegend Ausrüstungen aus den USA, und außerdem wollen wir von amerikanischen Management–Methoden lernen. Allerdings gilt bei McDonalds Moscow das sowjetische Arbeitsrecht, zumindest für die sowjetischen Beschäftigten. Vertreter unseres Außenhandelsministeriums haben aber bei den Verhandlungen mit den besorgten Amerikanern gleich klargestellt, daß Partei– und Gewerkschaftszellen in den Joint Ventures nichts zu sagen haben werden und daß auch keine Arbeitskräfte für Ernteeinsätze abgestellt werden.“ Ein Student der Betriebswirtschaft an der FU Berlin will vom Generaldirektor wissen, was das amerikanische Stammhaus von McDonalds mit den in Moskau verdienten Rubeln denn überhaupt anfangen kann. „Choroschij Wopros, eine gute Frage“, lobt der Russe. „Wir hatten von unserem amerikanischen Mitgesellschafter zunächst verlangt, in Moskau in Schnellrestaurants zu investieren, in denen nur gegen Dollar, D–Mark usw. verkauft wird. Aus diesen Erlösen sollten die Profite unseres Partners und die Anstellungsgehälter der amerikanischen Manager finanziert werden. In einer Studie kam McDonalds aber zu dem Ergebnis, daß die Hauptzielgruppen der US–Reisebüros im Sowjetunion– Geschäft - Exportkaufleute, touristische Reisegruppen und Gewerkschaftsdelegationen - am Verzehr von McDonalds–Erzeugnissen in der Sowjetunion nicht übermäßig interessiert sind. Wir haben daher eine Sonderregelung vereinbart: McDonalds kann seinen Rubel–Gewinn in Naturalien realisieren. Kürzlich wurde im Hafen von Odessa die erste große Ladung mit Wodka, Kaviar und Pelzen nach USA eingeschifft. Westdeutsch–sowjetische „Störanalyse“ An einem Kiosk auf dem Kalinin–Prospekt hat sich eine riesige Schlange von Frauen gebildet. Die Zeitschrift Burda–Moden wird in russischer Sprache für den Preis von zehn Rbl. (Tagesverdienst eines Facharbeiters) feilgeboten. Der Burda–Verlag und das „Staatskomitee der UdSSR für Polygraphie und Verlagswesen“ (Goskomisdat) machtens durch Gründung eines Joint Venture - ein „gemeinsames Unternehmen“ von staatlichem und Auslandskapital - möglich. Abends im Hotel Belgrad am Smolensker Platz, Diskussion mit Vertretern der sowjetischen Jugendorganisation Komsomol. Schnell kommt die Rede auf die Zukunft der Atomindustrie in der Sowjetunion. Ein junger Komsomol–Funktionär, Physik–Student an der Moskauer Staatsuniversität, meldet sich zu Wort. „Mein Vater lebt in Smolensk. Er ist dort Gebiets–Parteisekretär. In Smolensk gibt es ein Atomkraftwerk mit graphit–moderierten Druckröhren–Siedewasser–Reaktoren. Seit zwei Jahren sind Sicherheitsarmaturen installiert, die in westdeutsch–sowjetischer Gemeinschaftsproduktion hergestellt werden. Vertreter der Wiener Internationalen Atomenergie– Agentur waren kürzlich in Smolensk und bescheinigten dem Atomkraftwerk höchsten Sicherheitsstandard. Weil in letzter Zeit aber doch mehrere Notabschaltungen erforderlich waren, gibt es ein neues Projekt des Ministeriums für Atomenergetik (Minatomenergo) mit General Electric aus den USA. Wir wollen zusammen ein Versuchswerk bei Leningrad zur Herstellung von Geräten und Software für Störfall–Analysen in Kernkraftwerken bauen.“ Von den High–Tech–Diskussionen angewidert besuchen einige politsch aktive Naturfreunde und Umweltschützer am nächsten Tag den Kolchosmarkt im Südwesten Moskaus. Dort wird den auf private Rechnung verkaufenden Kolchosbauern seit einigen Jahren durch sog. Basare der ländlichen Verbraucher–Genossenschaft (“Zentrosojus“) Konkurrenz gemacht. Eine Frau aus der Gruppe, Slawistin, fragt den Verkäufer nach dem Preis für Kartoffeln: „Dreißig Kopeken das Kilo.“ Die Kolchosbauern verlangen mitunter das Doppelte. „Ja“, sagt der Zentrosojus–Verkäufer, „wir beziehen unsere Kartoffeln von einem Sowchos, der hochwirksame Pflanzenschutzmittel einsetzt, die in einem Werk in Kursk hergestellt werden, an dem die Firma Sandoz beteiligt ist. Frei erfundene Geschichten? Ja und nein. Über alle genannten Fälle standen Westfirmen mit Moskau schon in Verhandlungen, bevor das Präsidium des Obersten Sowjet am 13. Februar 1987 ein Joint–Venture–Gesetz verabschiedet hat. Inzwischen sollen nach Angaben des Leiters der Ingenieurtechnischen Hauptverwaltung beim Ministerium für Außenhandel der UdSSR, Jurij Kisljenko, schon „mehr als 100 Projekt–Angebote“ von westlicher Seite für Gemeinschaftsunternehmen eingegangen sein. Für diese Angebote hätten „ungefähr dreißig Industrieministerien“ Interesse bekundet. Die besten Realisierungschancen haben - wenn es nach der Moskauer Wirtschaftsführung geht - Joint Ventures in der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln, Chemiefasern, Farben und Lacken, Zellstoff und Papier, Kernkraftwerksausrüstungen, Bekleidung, Nahrungs– und Genußmitteln. Höchstens 49% Auslandskapital Der sowjetische Kapitalanteil muß mindestens 51 Ungarn können Westfirmen heute sogar schon mit eigener Mehrheitsbeteiligung investieren). Sowohl der Vorsitzende des Vorstands als auch der Generaldirektor des Unternehmens müssen sowjetische Staatsbürger sein. Ausländer können Mitglieder des Vorstands oder der Geschäftsführung sein. Den ausländischen Gesellschaftern garantiert Moskau die Möglichkeit eines Transfers ihrer Gewinnanteile. Aber nur aufgrund von Exporten des Joint Venture in „Hartwährungsländer“. Über die Gründung von Joint Ventures entscheidet der Ministerrat aufgrund von Anträgen von Unternehmen oder Produktionsvereinigungen, die der Regierung über das zuständige Fachministerium zugeleitet werden müssen. Sowjetische Staatsorgane beziehen die wirtschaftlichen Aktivitäten der Gemeinschaftsunternehmen nicht in ihre Planung ein. Andererseits garantieren sie auch nicht für dessen Absatz. Falls der Ministerrat feststellt, daß die Aktivitäten des Joint Venture nicht im Sinne der Gründungsurkunde oder im Rahmen der Geschäftsziele ausgeübt werden, kann er die Liquidation des Unternehmens anordnen. Die Vorschriften über Gemeinschaftsunternehmen, welche mit Firmen aus Entwicklungsländern und/oder aus sozialistischen Ländern eingegangen werden, sind laut TASS den Vorschriften für Partnerschaften mit westlichen Firmen „sehr ähnlich“. Allerdings wird das Eigentum von Gemeinschaftsunternehmen mit Organisationen aus RGW– oder sonstigen sog. sozialistischen Ländern als „gemeinsames sozialistisches Eigentum“ der UdSSR und des betreffenden RGW–Staates bezeichnet. Von Mitwirkungsrechten der Betriebskollektive an der Geschäftsführung, der Gewinnverwendung sowie an der Festlegung des Betriebszwecks von Joint Ventures ist nirgendwo die Rede. Westliche Vorbehalte Dennoch kann sich die westliche Geschäftswelt mit dem Werben des Kreml um die Gründung von Joint Ventures in der UdSSR noch nicht so recht anfreunden. Man befürchtet noch, daß sowjetische Industrieministerien und Behörden in erster Linie exportorientierte Gemeinschaftsunternehmen mit Westpartnern anstrengen, so daß von Joint Ventures Absatzmärkte in den Heimat– oder in Drittländern „vereinnahmt“ werden könnten. Angesichts des „Devisenhungers“ der sowjetischen Wirtschaft nach Ölpreis– und Dollarkursverfall und angesichts der großzügigen materiellen Anreize, mit denen der Kreml mehr Valuta–Erlöse seiner verarbeitenden Industrie auf kapitalistischen Märkten prämieren will, haben diese Befürchtungen durchaus einen rationalen Kern. Auch die sowjetischen Besteuerungspläne gegenüber den Joint Ventures sind nicht gerade unternehmerfreundlich. Das Moskauer Finanzministerium will 30% Steuern vom nicht reinvestierten Gewinn erheben. Beim Gewinntransfer (nach Steuern) ins Ausland werden noch einmal 20% Profitsteuer eingezogen. Westliche Globalstrategen und Militärs argwöhnen darüber hinaus, daß der Kreml über Joint Venture nur kapitalistische „Spitzen– Technologie“ in den Bereichen Automatisierung und Datenverarbeitung hereinholen wolle. Nach Einschätzung westlicher Geschäftsleute in Moskau sind in diesen Fertigungssparten wegen der bestehenden US– und NATO– Ausfuhrbeschränkungen Gemeinschaftsunternehmen „derzeit nicht machbar“. Otto Wolf von Amerongen, Präsident des deutschen Industrie– und Handelstages, wiegelte denn auch schon ab: das Joint–Venture– Thema sei „in letzter Zeit etwas zu stark in Mode geraten“. Auch unterhalb der Ebene von Direktinvestitionen und Kapitalengagements gebe es zahlreiche, noch ungenutzte Möglichkeiten direkter Zusammenarbeit zwischen deutschen und sowjetischen Unternehmen. Durch „sinnvolle Aufteilung des Produktionsprogramms“ zwischen Kooperationspartnern aus beiden Ländern solle zur „Strukturverbesserung“ der Volkswirtschaft der UdSSR beigetragen werden.