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Schnüffler sind nie unter Kontrolle

■ Berliner AL, Grüne und alternative Verfassungsschutzexperten diskutierten die Arbeit der Geheimdienste Statt einer unwirksamen parlamentarischen Überwachung forderten die Kritiker Abschaffung der Dienste

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Sind Verfassungsschutz und Demokratie vereinbar, und sind die Geheimdienste durch parlamentarische Gremien kontrollierbar? Diese beiden Fragen standen am Wochenende im Mittelpunkt eines Seminars, zu dem die Berliner Alternative Liste rund 80 Experten und Interessierte eingeladen hatte. Aktueller Anlaß für dieses Seminar waren: die nach wie vor unaufgeklärte Verwicklung des Verfassungsschutzes in den Mordfall Schmücker und die Einflußnahme des Geheimdienstes auf dieses Strafverfahren durch gezielte Beeinflusssung von Zeugen auf der einen und Informationsverweigerung auf der anderen Seite. Anläßlich dieser „Außensteuerung“ eines Strafprozesses durch einen Geheimdienst hatte die AL bisher vergeblich eine parlamentarische Untersuchung gefordert. Ein Sitz in der geplanten Berliner Parlamentarischen Kontrollkom mission zur überprüfung des Verfassungsschutzes wurde der AL genau wie den Grünen in Bonn bisher verweigert. Auf der Eröffnungsveranstaltung des Seminars gab es viele Beispiele dafür, wie wenig Licht bisher parlamentarische Gremien in die Arbeit der „Dunkelmänner“ gebracht haben. Sämtliche Geheimdienstskandale - sei es nun das berühmte Celler Loch, die Planung von Anschlägen durch Verfassungsschützer oder die Verwicklung in den Mordfall Schmücker - wurden nicht durch die dafür zuständigen Parlamentarischen Kontrollorgane aufgedeckt, sondern einzig und allein durch die Presse. Und auch der Zutritt der Grünen zu diesem parlamentarischen Gremium würde kaum dazu führen, daß der Verfassungsschutz „die Hose runter lassen müßte“, meinten die Seminarteilnehmer. Eine Mitarbeit der Grünen in diesem Kontrollgremium hielten die meisten jedoch trotzdem für sinnvoll, schon allein, um in der Öffentlich keit die Punkte aufzuzeigen, an denen sich der Verfassungsschutz seiner Kontrolle mit Billigung der anderen Parlamentarier entzieht. „Ein wirklich kontrollierter Geheimdienst“, so der gerade wegrotierte grüne Bundestagsabgeordnete Ströbele, „müßte sich jedoch selber auflösen, denn er wäre nicht mehr geheim.“ Nicht um die „Reparatur“ des Verfassungsschutzes, sondern um dessen Abschaffung müsse es deshalb seinen Kritikern gehen. Daß der Verfassungsschutz in Bezug auf die Wahrung unserer Verfassung mehr Schaden anrichte als Nutzen einbringe, darüber waren sich alle Anwesenden einig. Die Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes hielt der Berliner Rechtsanwalt Jens Brückner in seinem Referat dennoch für zu kurz gegriffen. Denn entgegen der Festlegung der Verfassungsväter und Verfassungsmütter habe sich die Grenze zwischen Polizei und Geheimdiensten im Zuge neuer Informationstechnologien und neuer Polizeibefugnisse längst verwischt. Bei einer Abschaffung des Verfassungsschutzes würden sich dessen Aufgaben eher weiter auf den polizeilichen Bereich verlagern. Nach stundenlanger Diskussion über Arbeitsweise und Funktion des Verfassungsschutzes wurde jedoch - vielleicht ein schwacher Trost - auch eines etwas zurecht gerückt: der Verfassungsschutz hat sich zwar seit seiner Gründung personell um das Zehnfache aufgebläht und sammelt mit technisch immer perfekteren Methoden riesige Informationsberge an. Diese Informationen dienen sicherlich dazu, AKW– Gegner, Friedensbewegte oder auch grüne Parlamentarier/innen öffentlich zu diffamieren. Auf die alltägliche politische Arbeit von Gruppen und Einzelnen hat diese Schnüffel– und Sammelei jedoch zur Zeit nur wenig Einfluß. Und zum Glück, so eine Referentin, könne man auch niemandem raten, sich davon einschüchtern zu lasen.

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