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Eine Frau „wohlwollend“ in den Knast gesteckt

■ Ein Mann mißbrauchte zwei Kinder und erhielt eine Bewährungsstrafe / Die „frühreifen Teenager“ kamen ins Heim / Ihre Mutter verletzte den Täter geringfügig und wurde zu zwei Jahren und drei Monaten Knast ohne Bewährung verurteilt

Aus Bochum Petra Bornhöft

Männer haben Ursula L. immer ausgenutzt und verletzt. So das Resümee eines Gutachters im Prozeß gegen Ursula L. - angeklagt wegen Mordversuchs. Einer mißbrauchte sogar ihre zwei Töchter. Während der Täter auf freiem Fuß blieb, steckte das Jugendamt die „frühreifen Teenager“ ins Heim. Verzweifelt und verbittert fügte die Mutter dem Mann geringfügige Verletzungen zu - und landete wegen Mordversuchs in U– Haft. Am Dienstag nun übermittelte eine Frau, die Vorsitzende Richterin Dr. Ruth Rissing van Saan, der 45jährigen Hausfrau aus Wanne– Eickel „grenzenloses Wohlwollen“ des Bochumer Schwurgerichtes: zwei Jahre und drei Monate Knast wegen versuchten Tot schlages in minderschwerem Fall. Damit folgte die Strafkammer dem Antrag des Staatsanwaltes Karl Heinz Schulze, der zuvor die Anklage gegen Ursula L. wegen Mordversuchs selbst in Zweifel gezogen hatte. Einfühlsam plädierte Schulze für Strafmilderung: „Diese Frau hat nie auf der Sonnenseite des Lebens gestanden“. Zehn Jahre wuchs Ursula L. ohne Vater auf, er starb im Krieg. Mit dem Gefühl, gegenüber dem Bruder benachteiligt zu werden, lebte die Jugendliche abwechselnd bei der Mutter, Großmutter oder Tante. In der Schule sei sie bockig und störrisch gewesen, erzählte die Angeklagte einem JVA–Psychologen. Abgebrochene Friseurlehre, kaufmännische Ausbildung ohne entsprechenden Arbeitsplatz, Heirat, Nachtarbeit, um tagsüber für die Kinder zu sorgen. Nach fünf Ehejahren ersticht der Bruder ihren Mann. Ein Freund schwängert die Fabrikarbeiterin und läßt sie sitzen. Der zweite Ehemann akzeptiert die drei Kinder nicht. Bei Bier und Schnaps eskalieren die immer häufigeren Streitereien. Seit der Scheidung 1979 lebt Frau L. von Sozialhilfe. Trotz neuer Partnerschaften dominieren „materielle und psychische Not“. Die Mutter von nunmehr fünf Sprößlingen „gestaltet ihr Leben in tendenziell randständiger Weise“, formuliert ein Sachverständiger in dem Prozeß. Nachbarn und Kneipenbekannte hatten Konflikte mit Ordnungshütern und Gesetz. Auch Ursula L. bleibt nicht verschont von Bewährungsstrafen und zwei Monaten Haft. Ohne die Hausfrau als Trinkerin zu bezeichnen, sieht Richte rin Rissing van Saan im „Alkohol häufig den Grund, wenn Sie renitent werden und anderen an die Wäsche gehen“. Alkoholprobleme sahen auch Psychologen bei der „sehr polarisierten Frau, die ihr Körperleben nicht reflektiert“ fest. „Zuletzt“, bis zum 14. September 1986, habe Ursula L. „in ständiger Unzufriedenheit und sozialer Isolation gelebt“. An diesem Tag besuchte die Beschuldigte mit 1,7 Promille Alkohol im Blut Karl S., um „das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen“, wie jemand gehört haben will. Eine Anzeige der Mutter gegen den 60jährigen Frührentner S., nachdem sie erfahren hatte, daß der Bergmann ihre zwölf– und 13jährigen Töchter mißbraucht hatte, war zunächst folgenlos geblieben. Sie kam nicht darüber hinweg, daß die Behörden ihr stattdessen die Mädchen „wegen drohender Verwahrlosung“ wegnahmen. „Den bring ich um“ soll Ursula L., alkoholisiert, mehrfach geäußert haben - für das Gericht ein Beweis des Tötungsvorsatzes. An das Geschehen in der Wohnung des Karl S. kann die Angeklagte sich nur ungenau erinnern. Sie habe dem Mann „eine Lektion erteilen“ wollen. Mehr weiß Ursula L. nicht. Das Gericht glaubte der Darstellung des Frührentners, der erklärte, er sei plötzlich von hinten mit einem Messer - das spurlos verschwunden blieb - angegriffen worden. Allerdings verzieh Karl S. im Prozeß: „Schwamm drüber. Das war alles halb so schlimm“. In der Tat registrierten Ärzte später nur einige harmlose Schnittwunden. Für die Strafkammer indes ein „reiner Zufall, daß bei der ziellosen Messerstecherei keine ernsthaften Verletzungen entstanden sind“. Im Gegensatz zur „objektiven Heimtücke“ der Angeklagten gilt die Arg– und Wehrlosigkeit des Karl S. seit Dezember als erwiesen. Wegen sexuellen Mißbrauchs in zwei minderschweren Fällen erhielt der Täter ein Jahr Haft auf Bewährung, denn, so Frau Rissing van Saan, „die Kinder sind initiativ gewesen und nicht in eine Falle gelockt worden“. Regungslos vernahm Ursula L., die ihre beiden Töchter weder sehen noch ihnen schreiben darf, das Urteil inclusive der richterlichen Ermahnungen: „Alle Vorstrafen haben nicht gereicht, um Frau L. ihr Problem klar zu machen. Wenn es so weiter geht, wird es beim nächsten Mal nicht bei zwei Jahren und drei Monaten bleiben. Aber wir wollen Ihnen nicht die Zukunft verderben. Sie haben es in der Hand, Frau L., was aus Ihnen und Ihrer Familie wird“. Für eine Bekannte auf der Zuschauerbank ist die Zukunft klar: „Jetzt ist Ursel erstmal zwei Jahre versorgt“.

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