In London tobt ein Krieg der „Gutterpress“

■ „Gutterpress“ heißen in England die Boulevard–Blätter, um die ein heißer Kampf entbrannt ist / Drei Abendzeitungen kämpfen um Leser mit Blut, Busen und Abenteuern der Royals / Journalisten werden dafür kaum gebraucht

Aus London Rolf Paasch

Dienstag morgen, 8 Uhr, Waterloo Station. Hundertausende von Pendlern strömen aus den Vorortzügen, um sich in die „tube“, die Röhren der Londoner U–Bahn zu stürzen. Da fällt ihr Blick im Laufschritt auf den Zeitungsstand, den sie an dieser Stelle sonst erst nach Dienstschluß gewohnt sind. London Daily News (LDN) krächzt der Verkäufer. Und das zeitungshungrigste Volk der Welt greift zu. 20 Pence für die erste Abendzeitung, die bereits am Morgen erscheint. „Wir sind ein 24–Stunden–Blatt“, beschreibt Großverleger Robert Maxwell sein neues Blatt, mit dem er gegen den London Evening Standard antritt. Maxwells morgendliche Gold Top–Ausgabe - dem fettreichen Label der Frühstücksmilch nachempfunden -, ist nur einer der Tricks, mit denen der flamboyante Pressezar die bisher einzige Abendzeitung aus dem Geschäft drängen will. Am Dienstag schoß die Auflage Londoner Abendzeitungen von 500.000 auf 1.7 Mio empor. Ein Auflagenkrieg auf Gedeih und Verderben. High Noon. Die ersten Exemplare des alteingesessenen Standard erreichen die Zeitungshändler. Das Thatcher–treue Blatt hat sein Aussehen in den letzten Wochen erheblich verändert. Erst die drohende Ankunft der London Daily News zwangen die Associated Newspaper Group des Lord Rothermere, dem Standard einen face Lift zu verpassen. Viel Werbung, neues Lay–Out, nur der inhaltliche Schund ist der gleiche geblieben. Auch die Abendzeitungen gehören zu der wohl übelsten aller britischen Institutionen, der sogenannten „Gutterpress“, Gossenpresse. Täglich werden rund 13 Millionen dieser Pamphlete, voll mit Blut, Busen und den Abenteuern der Royals, an den Leser gebracht. Hier schon verliert die Linke die Auseinandersetzung mit der konservativen Hegemonie. 14 Uhr. Die LDN schlägt zu rück. Eine Lokalstory aus Londons Osten, um auch dort die Verkaufszahlen hochzutreiben. Aids ist auf Seite zwei zurückgefallen. Dem Leser dämmert so langsam, was das 24–Stunden–Blatt mit fünf Auflagen bedeutet: den jeweiligen Austausch der Titelseite. Lady Dis Schlitz im Kleid ersetzt den Sex–Skandal, Vergewaltigungs– Berichterstattung triumphiert über Terroristenhysterie. Und dies im Stundentakt. 2.30 Uhr. Spätausgabe des Standard. „Der Kampf um mein Baby“, die Leidensgeschichte eines Vaters, der vor Gericht um den Bauch seiner abtreibungswilligen Ex–Freundin kämpft. 3.30 Uhr. Neuer Anschlag auf den Leser durch die LDN. „Neuer Anschlag der Tories auf die Gewerkschaften“, die erste Story aus der politischen Realität des Vereinigten Königreiches. Der Großverleger und frühere Labour–Abgeordnete Maxwell ist die Antwort der Labour–Rechten auf Times–Verleger Rupert Murdoch. Die Profite aus „Captain Bobs“ gutgehendem Buchverlag und seiner Mirror–Gruppe von Tages– und Wochenzeitungen sollen langfristig in den Ausbau seines Presseimperiums gehen. Maxwells erklärtes Umsatzziel: 5 Mrd. Pfund (14 Mrd. DM). 16 Uhr. Mehrere Bündel der Evening News fliegen ihm aus einem vorbeirasenden Auslieferungswagen vor die Füße. Dabei war die doch vor sieben Jahren eingegangen. Bis vor fünf Tagen. Da befahl Lord Rothermere, der Maxwell–Publicity um die London Daily News mit der Wiederbelebung der Evening News den Wind aus den Segeln zu nehmen. Über Nacht wurden ein paar Schreiberlinge geheuert. „Wir zielen“, so der Chefredakteur, „auf das untere Ende des Marktes, auf Frauen.“ Ein flüchtiger Blick auf das Produkt belehrt, daß der Ausflug in die Unterwelt des Zeitungsgeschmacks äußerst erfolgreich war. Die Evening News ist der endgültige Beweis, daß für die Produktion einer Boulevardzeitung längst keine Journalisten mehr gebraucht werden.