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I N T E R V I E W Warum geht keiner vor Gericht?

■ Ernst Otto Kempen, Direktor der „Akademie der Arbeit“, Frankfurt, über das Recht auf Information für Journalisten / Regierung hat die Pflicht zu informieren

taz: Herr Kempen, gibt es für Journalisten ein Recht auf Information? Kempen: Auszugehen ist von der Informations– und Pressefreiheit nach Artikel 5, Absatz 1 des Grundgesetzes. Im Spiegel–Urteil hat das Bundesverfassungsgericht 1966 dazu gesagt: „In der repräsentativen Demokratie steht die Presse als ständiges Verbindungs– und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung.“ Daraus folgt, daß die Presse, als dieses „ständige Kontrollorgan“, genauso informiert werden muß wie der Bundestag selbst. Wie können Journalisten dieses Recht in der Praxis durchsetzen? Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung sieht bei materiellen Grundrechten wie dem der Pressefreiheit nicht nur einen Anspruch, sondern zugleich eine staatliche Verpflichtung vor. Pres die gewünschten Auskünfte zu erteilen. Aber jetzt kommt der Pferdefuß: Im anschließenden Absatz 2 sind Ausnahmen von dieser Verpflichtung normiert, und zwar so umfassend und unbestimmt, daß sie im Grunde genommen dem rechtsstaatlichen Gebot auf Bestimmtheit und Normenklarheit glatt widersprechen. Auf diese Ausnahmeregelungen beruft sich ja jetzt auch Regierungssprecher Ost. Wenn die Nachrichtensperre rechtlich auf so wackligen Füßen steht, warum klagt keiner dagegen? Weil eine Nachrichtensperre in der Dimension bisher nur einmal, nämlich während der Schleyer– Entführung verhängt wurde. Aber in der Literatur zum Paragraphen 4, Abs.2, Landespressegesetz wird überwiegend die Ansicht vertreten, daß dieser Passus verfassungsrechtlich bedenklich, wenn nicht verfassungswidrig ist. Also ist es nur die Frage, ob sich ein Kläger findet? Ja, und zwar im Hinblick auf zwei Aspekte. Zum einen weist der Abs. 2 formale Mängel auf, weil ein Gesetz, das ein Grundrecht einschränkt, nach Artikel 19, Abs. 2 des Grundgesetzes, dieses Grundrecht zitieren muß. Das tut der Paragraph 4, Abs. 2 nicht. Dagegen wäre schon einmal eine Klage möglich.

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