: Reger Nachrichtenhandel
■ Gezielte Informationen an die Bild im Entführungsfall Schmidt/Cordes
„Die Bundesregierung bleibt bei ihrer Nachrichtensperre“, wiederholt Regierungssprecher Ost gebetsmühlenartig seit vier Wochen. So auch Dienstag abend, nachdem der Unterhändler der Bundesregierung im Entführungsfall Cordes/Schmidt, der Autohändler Mahroum, nicht nur sich, sondern gleichzeitig streng geheime Details vor dem deutschen Fernsehpublikum enthüllt hatte. Ist Mahroum der Unterhändler, hat er versucht, aus seiner Mission Kapital zu schlagen? Hat die Zeitschrift Quick das wirklich empört zrückgewiesen? Neue Nahrung für die Bonner Gerüchteküche, in der zur Zeit jeder was weiß, jeder was sagt, aber keiner was gesagt haben will. Ost scheint der einzige zu sein, der sich an die Nachrichtensperre tatsächlich hält. Alle anderen am Entführungsfall Beteiligten plaudern munter und ungehindert. Jetzt auch noch der heimliche Unterhändler. Die Regierung hat ihn daraufhin von seinem Auftrag entbunden.
Regierungssprecher Ost: „Im Übrigen.... Zeiten von Nachrichtenverknappung bis hin zur offiziell verhängten Nachrichtensperre sind für die recherchierenden Journalisten die Stunde der guten Beziehungen. Eine solche schlug der Bild–Zeitung am 18. Januar, nachdem die libanesische „Hizbollah“– Gruppe am Tag zuvor im Gegenzug zur Verhaftung des als Flugzeugentführer verdächtigten Ali Hamadeh den Hoechst–Manager Rudolf Cordes entführt hatte. Die Erstmeldungen der Deutschen Presseagentur (dpa) und associated press (ap) konnten sich auf nichts anderes als die Informationen von Bild und Welt berufen. Mit dieser heißen Info im Rücken konnten die Bonner Journalisten den Behörden nur mühsam eine Bestätigung entlocken, daß ein „deutscher Staatsbürger“ im Libanon entführt worden sei. Und während sie sich noch fieberhaft bemühten, die Identität dieses Staatsbürgers zu erhärten, kannte Bild, wie man in der Ausgabe von nächsten Tag nachlesen konnte, nicht nur den Namen des Entführten, sondern auch den genauen Tathergang. Stimmen aus dem Auswärtigen Amt und aus „Regierungskreisen“ wurden zitiert, nach denen „eine solche Ak tion erwartet“ worden sei. Am Dienstag, dem 20.Januar, konnten interessierte Journalisten wiederum Details und Stellungnahmen zum Entführungsfall in der Bild–Zeitung nachlesen. U.a. wurde der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Stercken, mit der Bemerkung zitiert: „Eine solche Erpressung (Cordes gegen Hamadeh, d.Red.) zu akzeptieren, heißt, die Terroristen zu neuen Taten zu ermuntern.“ Daß es sich um eine Freipressungsaktion handelt, wußten die Regierungs–Verantwortlichen zu dem Zeitpunkt angeblich noch gar nicht. Dem nachfragenden dpa– Vertreter war von verschiedenen Regierungsstellen die lapidare Auskunft: „keine Hinweise“ erteilt worden. Als die Hinweise am folgenden Tag in Bild standen, lagen sie den inzwischen eingerichteten Bonner Krisenstäben dann plötzlich auch vor. Am nächsten Tag verlautbarte Regierungssprecher Ost vor der Bundespressekonferenz, es gebe „Erkenntnisse“ über einen Zusammenhang zwischen der Hamadeh–Festnahme und der Cordes–Entführung. Nach dieser mehr als knappen Bestätigung des Informationsstandes der Springer–Presse bat Ost um Verständnis dafür, daß die Bundesregierung „im Interesse der Betroffenen nun keine weiteren Auskünfte geben“ wolle. Das tat sie dann offensichtlich doch: Bild wußte am folgenden Mittwoch nicht nur, daß die Entführer telefonischen Kontakt mit Außenminister Genscher gehabt hatten, daß sie dabei die Abschiebung von Hamadeh in den Libanon gegen die Freilassung von Cordes gefordert hatten, sondern kannte auch schon die Antwort „eines Regierungsmitgliedes“: „Austausch gibt es nicht.“ Spekulationen eines unseriösen Blattes? Wohl kaum, denn die meisten der Bild– Zeitung–Informationen wurden, jeweils mit einem oder zwei Tagen Verspätung, auch anderen Bonner Journalisten von ihren „Gewährsleuten“ gesteckt. Über den Umweg durch die Bild–Zeitung–Redaktion machte das Bundeskanzleramt der Presse am Dienstag, dem 27.Januar dann auch bekannt, daß der Bruder von Ali Hamadeh, Abbas, in Frankfurt festgenommen worden sei. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es erst am Abend. Im übrigen, so erklärt ap in seiner Meldung lakonisch, bleibe die Bundesregierung bei ihrer Nachrichtensperre. Verlautbart aber wird über die bekannten Kanäle munter weiter. Zum Beispiel bekam die ARD Wind von einer Schießerei im Saarland, als ein weiteres Mitglied des Hamadeh–Clans festgenommen wurde. Und die Bild– Zeitung konnte in Erfahrung bringen, daß die Hamadehs in Frankfurt–Preungesheim sitzen. Für die Bonner Spiegel–Reporter war es höchste Zeit, ihr Ohr in die „gewöhnlich gutunterrichteten Kreise“ zu hängen. In ihrer Ausgabe vom Montag, dem 2.Februar berichten sie von der Bonner Krisenstabs–Sitzung vom vergangenen Mittwoch, als seien sie persönlich dabei gewesen: Schäuble präsentiert die Lebenszeichen von Schmidt und Cordes und verliest den anwesenden Geheimnisträgern und damit zugleich den Spiegel–Lesern den Inhalt von Schreiben, die die Entführten an ihre Angehörigen und an Bundeskanzler Kohl gerichtet hatten. Aus der Tatsache, daß die Bild– Zeitung den Inhalt dieser Briefe ihren Lesern auch erst am 2. Februar, also fünf Tage nach der besagten Sitzung, mitteilen konnten, ist zu schließen, daß das Blatt in diesem Fall keinen eigenen Draht gehabt hatte, sondern aus der Spiegel–Quelle mitnippen mußte. Doch noch einmal zurück zum Freitag, dem 30.Januar. Während die Bonner Journalisten in einem fieberhaften Wettlauf ihre aufwendig gehegten Beziehungen in die informierten Kreise hinein spielen lassen, begründet Ost noch einmal treuherzig die „strikte Nachrichtensperre“: „Vor allem muß vermieden werden, den Entführern ein widersprüchliches oder falsches Bild über die Einstellung der Bundesregierung zu geben.“ Das ist ein klares Wort. Es besagt nicht etwa, daß in den Medien über den Entführungsfall und die Absichten gar nichts, sondern eben das Richtige zu erscheinen hat. Das war etwa einhundert Journalisten dann doch zu viel an Staatsräson. Sie legten am 7. Februar eine Protesterklärung gegen die verhängte Nachrichtensperre vor, in der es heißt, „eine Nachrichtensperre, bei der Regierungsstellen und Behörden der Presse und damit der gesamten Öffentlichkeit nur noch ihnen genehme oder überhaupt keine Information zugänglich machen, verstößt gegen das Grundgesetz“. Werner Schlegel, der Initiator des Journalisten–Protestes, erinnert an das falsche Spiel, das während der Schleyer–Entführung 1977 mit der Presse gespielt wurde. Einen Monat nach der damals verhängten Nachrichtensperre gab Regierungsdirektor Müller vom Bundespressseamt auf einer Tagung zu, daß man unter dem Schutz der Nachrichtensperre „gezielte Desinformation“ bis hin zu gefälschten Bildern verbreitet habe. So etwas dürfe es nie wieder geben, waren sich damals SPD und CDU einig. Tatsächlich ist die gegenwärtige Nachrichtensperre keine Wiederholung der konzertierten Staatsaktion aus der Zeit der Schleyer–Entführung. Sie ist vielmehr eine Nachrichtenbarriere, eine Art Informationen–Staudamm, der die begehrten Nachrichten gezielt durch gewinnbringende Kanäle abfließen läßt. Conrad Ahlers, Altmeister unter den Regierungssprechern, wußte es: „Exclusive Informationen für Journalisten sind die vornehmste Art der Bestechung.“ Imma Harms
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen