Anarchiefreies Toben mit den Herrschenden

■ Bierseligkeit im Aachener Stadtrat: So richtig ernsthafte närrische Lokalpolitik / Fraktionsübergreifender Schwachsinn / Und: Wie sich die Grünen hyper–realissimo, anarchistisch und angepaßt am Karnevalstreiben beteiligen

Aus Aachen Bernd Müllender

„Da mußt du unbedingt mal drüber schreiben. Dat is echt toll!“ Günter Schabram, Ex–KBW und heute Ratsherr der Aachener Grünen, schafft es, Neugier zu wecken. Und als Journalist ist man ja auf Informanten mit Enthüllungshinweisen dringend angewiesen. Also nichts wie hin ins Rathaus zur „Närrischen Ratssitzung“, eine Art politischer Karneval, den selbst so jecke Vorzeigestädte wie Köln und Düsseldorf nicht zu bieten haben. Statt sich wie sonst immer mittwochs abends in kommunalpolitischem Händel zu beharken, wird in historischen Gewändern in historischem Gemäuer Rat gehalten. Tschingderassabummbumm. Aachen Alaaf - so was gibts nur in der „Stadt der sprudelnden Vielfalt“. 18 Uhr 11 - es geht los. Oberbürgermeister Malangre (CDU, Europa, Opus Dei) eröffnet Punkt 1 der Tagesordnung: „Einzug des total verrückten Rates der Stadt“. Der OB hat sich in ein napoleonhaftes Gewand geworfen, steht ihm gut, nur die rechte Hand liegt auf dem Rücken, nicht vorbildgemäß auf der Brust. Die Volksvertreter sind kostümiert, die Garderobe hat das Stadttheater gestellt. Sehr hübsch, sehr bunt. Der erste Marsch braust über die politische Bühne. Die Räte geben fröhliche Reden zum besten, manchmal gar mit politisch–persönlichen Anspielungen, da muß man einfach lachen. Klatschen zum Klatsch. Auch der letzte Schwachsinn, ob sexistisch, einfach dumm oder frauenfeindlich, wird betuscht und von oppositionslosem Narrenjubel begleitet. Karnevalistische Provinzgrößen treten auf, sogenannte „Originale“, um zwischen Toiletten– und Stammtischniveau Heiterkeit zu verbreiten (AIDS–Scherze sind groß im Kommen) und diverse Orden zu verteilen. Plattitüden auf Platt, sehr volksnah, denn das Volk ist wg. Freibier zu Hunderten drängelnd dabei. Mundschenkinnen (Emanzipation!) reichen die Flüssigkeiten, Konfetti fliegt fraktionsübergreifend. Auch die Grünen feiern kräftig mit. Ganz besonders eifrig sogar. Ratsherr Schabram kann das leicht begründen: „Wir wollten alte Tra ditionen wieder aufleben lassen, wie Karneval früher war: antimilitaristisch, gegen die Herrschenden, gegen Staat und Polizei.“ Und: „Die Mächtigen verarschen.“ Und: „Der offizielle Karneval heute, mit seinen bierernsten militärischen Formationen, das ist doch die Perversion von Karneval.“ Also: „Karneval muß wieder anarchistisch werden.“ Grüne Alaaf. So weit, so anspruchsvoll. Nur: Im Aachener Karnevalsrat toben die Grünen sehr anarchiefrei mit den Herrschenden. Sie dürfen sich über das OB–Lob freuen, „eine karnevalistische Bereicherung des Rates zu sein“. Begeisterung seit drei Jah ren auch in der sonst sehr grün–hämeligen Heimatpresse: So mögen wir sie, so richtig ernsthaft närrisch. Und endlich finden die Grünen auch beim politischen Gegner einmal Gehör und erfreute Gesichter. Dabei hat es durchaus innerparteiliche Flügelkämpfe um die Karnevalsauftritte gegeben, spätestens als sich Ratsfrau Inge Uelpenich 1986 sehr innig vom strammen CDU–Oberstadtdirektor Berger zum Tanze durch den Saal schieben ließ: Wie kannst du bloß, muckte da so manche von der Basis. Sich von dem befummeln lassen. Igitt! Mittwoch abend war das längst wieder vergessen. Im Kasperkostüm intonierten sie zum Fetzrhythmus von „Carmen“: „An allem sind die Grünen schuld, jaja, die Grünen sind an allem schuld.“ Und woran sind sie schuld? „Ob mal wieder ein Haus besetzt - ob das Verschwiegenheitsgebot verletzt.“ Oder: „Ob um Diäten der Streit entfacht - ob der Dom zusammenkracht.“ Oder: „Ob der Karlspreis wird halbiert - oder Alemannia verliert.“ Da stimmen alle ein in kollektiver Bierseligkeit, auch die bekannten Gesichter aus der Aachener Theater– und Schwulenszene und der Kollege vom Stadtmagazin. Ist ja auch witzig. Die Grünen haben Humor. Als es dann endlich zum ersten parteiübergreifenden Tanz der diesjährigen Rats–Session kommt, werden noch einmal die WDR–Kameras aktiviert. Alaaf, Alaaf, Alaaf. Der OB, der im Vorjahr als Punk mit feuerrotem Irokesenschnitt eine, so die Lokalzeitung, „absolut torpedogeile Figur“ gemacht hatte, müht sich, „die Aachener Nationalhymne“ anzustimmen: „Vr sin allemole Öcher Jonge“ - Wir sind alle Aachner Jungs. Ratsfrau Uelpenich pustet lauthals mit - ja, ist das denn wahr? Doch auf Nachfrage versichert sie, immer „Mädsche“ gesungen zu haben. Immerhin. Jonge un Mädsche Alaaf! Der Kongreß tanzt - der Rat tobt. Längst schunkelt auch die Pressereihe. Es wird Zeit, zu Hause mit der Reportage über diesen kommunalen Anarchisten–Exzeß zu beginnen. Dat war wirklich echt toll. Informanten - und seien es grüne Ex–KBWler - sind immer für eine Überraschung gut.