Palästinas Jugendliche gehen auf die Straße

■ Die Proteste in den besetzten Gebieten richten sich nicht nur gegen Israels „eiserne Faust“ sondern auch gegen den Lagerkrieg im Libanon / Ein Drittel der 1,5 Millionen Palästinenser in Westbank und Gazastreifen waren mindestens einmal in einem israelischen Gefängnis

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Fast täglich haben palästinensische Jugendliche aus den israelisch besetzten Gebieten in den letzten Wochen gegen den Lagerkrieg im Libanon protestiert. Aber die Proteste in der Westbank und dem Gaza–Streifen richteten sich zugleich auch gegen die Politik der „eisernen Faust“ der israelischen Besatzungsmacht. Vor allem die Grenzpolizei zeichnet sich durch besonders harte Unterdrückungsmethoden aus. Das war vermutlich auch das Motiv für den Handgranaten–Angriff in der Nähe des Damaskus– Tors in Ostjerusalem, bei dem kürzlich zwölf der „harten Kerle“ dieser Einheit verletzt wurden. Doch bewaffnete Aktionen der Palästinenser sind derzeit eine Seltenheit. Meist stehen große, schwerbewaffnete Militär– oder Polizeieinheiten den höchstens mit Flaschen und Steinen „ausgerüsteten“ jugendlichen Demonstranten aus den Flüchtlingslagern in der Westbank und dem Gazastreifen gegenüber. Hunderte von Tränengas–Granaten, die auch „blind“ in einen Schulhof oder den Campus einer Universität gefeuert wurden, konnten die Proteste nicht verhindern. Selbst mit dem Einsatz von Schußwaffen in den Straßen von Nablus, Ramallah und Khan Yunis wurden die Besatzungstruppen nicht Herren der Lage. Daher gingen die Behörden dazu über, sämtliche Universitäten in den besetzten Gebieten sowie mindestens zwölf Mittelschulen vorübergehend zu schließen. „Übergriffe“ im Internierungslager Hunderte von jungen Leuten wurden in den letzten Wochen bei Auseinandersetzungen verletzt. Die Gefängnisse quellen über, so daß das in Gaza gelegene Lager Ansar II, benannt nach einem ehemaligen Internierungslager im Südlibanon, wieder in Betrieb genommen wurde. Für Journalisten waren die „Operationsgebiete“, die Schauplätze von Protesten und Auseinandersetzungen also, häufig gesperrt. Dies führt dazu, daß in Presse und Fernsehen wenig Augenzeugenberichte erscheinen. Vorletzte Woche allerdings erhielten Journalisten die Erlaubnis, das Internierungslager Ansar II in Gaza zu besichtigen und mit zwei der 140 meist jungen Insassen unter Aufsicht zu sprechen. Der Kommandant der dortigen Militärpolizei, Oberleunant Hilik, lehnt den Vergleich mit dem südlibanesischen Ansar I ab. Er müsse das wissen, denn er habe Ansar I selbst „absolviert“. „Übergriffe“ der Militärpolizei in Ansar II würden jetzt untersucht, aber derartige Vorkommnisse gehörten der Vergangenheit an. Familienbesuche seien nicht gestattet, aber das Rote Kreuz dürfe ja das Lager besichtigen. Die Gefangenen liegen in den überfüllten Baracken am Boden und warten auf ihr Verfahren vor einem Militärtribunal. Den meisten wird die Teilnahme an Demonstrationen und der „Bruch des Friedens“ vorgeworfen. Die beiden „Sprecher der Gefangenen“, die die Journalisten befragen dür fen, beklagen sich über „schlechte Behandlung und mangelnde Ernährung, gelegentlich auch Schläge“. 4.500 Palästinenser inhaftiert Nach Angaben des Roten Kreuzes sind derzeit 4.500 Palästinenser in israelischen Gefängnissen inhaftiert. Damit liegt die Zahl der Gefangenen nun wieder etwa genauso hoch wie vor dem letzten großen Gefangenenaustausch. Die vom Roten Kreuz aufgestellte Statistik belegt, daß von den rund 1,5 Millionen Palästinensern in den besetzten Gebieten ein Drittel im Zuge der zwanzigjährigen Besatzung mindestens einmal aus „Sicherheitsgründen“ inhaftiert war. Im allgemeinen handelt es sich dabei um junge Leute: Arbeiter, Studenten, Bewohner der Flüchtlingslager. Über die Zustände in den Gefängnissen oder Internierungslagern erteilt die Hilfsorganisation keine Auskunft. In der letzten Zeit beobachten Vertreter des Roten Kreuzes jedoch diskret einzelne Aktionen der Besatzungsbehörden bei der Unterdrückung von Protestdemonstrationen. Auffällig sei, daß zivil gekleidete, aber mit Schußwaffen ausgerüstete Mitglieder des Grenzschutzes gewaltsam gegen palästinensische Demonstranten vorgingen. Das seien neue Einsatzmethoden mit Hilfe „ziviler Militärs“, stellt ein sonst äußerst zurückhaltender Vertreter des Roten Kreuzes fest. Proteste gegen Zusammenarbeit von Israel und Jordanien Palästinensische Organisationen aus den besetzten Gebieten haben sich vor zwei Wochen mit einer Beschwerde an die Vereinten Nationen gewandt. Zum einen fordern sie, die UNO solle die Bevölkerung der Palästinenserlager im Libanon durch ihr Eingreifen retten, sie solle ihre Belieferung mit Lebensmitteln und Medikamenten garantieren. Zum anderen wird festgestellt, daß die „barbarische Kampagne, die hier und in der Diaspora gegen die palästinensischen Flüchtlinge im Gange ist, bestimmte Lösungen aufzwingen will, die das palästinensische Volk ablehnt, weil damit seine Forderung nach nationaler Selbstbestimmung ausgelöscht werden soll.“ Mit der Formulierung „bestimmte Lösungen“ dürften die israelisch– jordanische Zusammenarbeit in der Westbank sowie Versuche gemeint sein, über Lösungsmöglichkeiten ohne die Beteiligung der PLO zu beraten, etwa im Rahmen einer internationalen Konferenz. Israels Verteidigungsminister Rabin hat kürzlich eine „engere Zusammenarbeit zwischen palästinensischen Nationalisten und islamisch–fundamentalistischen Kreisen in den besetzten Gebieten“ beobachtet. Dies dürfte der Hintergrund dafür sein, daß jetzt erstmals vier islamische Geistliche in Nablus unter Hausarrest gestellt wurden. Insgesamt sind jetzt sechzig Palästinenser von Orts– oder Hausarrest betroffen und eine fast ebenso große Zahl wurde in „administrative Haft“ genommen, die meist sechs Monate dauert und keine Anklage oder Gerichtsverhandlung vorsieht. Vier Lehrer–Organisationen protestierten kürzlich gemeinsam gegen die Schließung von Schulen und die Inhaftierung von Kollegen. Auch zwei Professoren der An Najah Universität in Nablus wurden vor kurzem in „administrative Haft“ genommen.