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D O K U M E N T A T I O N „Unmutsäußerungen“

■ BGH besteht auf enger Auslegung des dem RadiAktiv–Verfahren zugrunde liegenden § 111

Im Falle von Wandschmierereien Rechtsextremer geht der Bundesgerichtshof sehr sensibel mit dem Tatbestand der Aufforderung zu Straftaten (§111) um. Ein Mann hatte im August 1980 Hakenkreuze sowie die Parolen „Tod dem Klerus“, „Tod Wehner und Brandt“ und „Hängt Brandt“ in Würzburg gesprüht. Unter Einbeziehung einer anderen Strafe wurde er vom Landgericht wegen Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen, Sachbeschädigung, Volksverhetzung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten zu zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die BGH–Richter hoben am 14.3.84 den Schuldspruch zur Frage der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten auf: „Der Tatbestand der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten setzt eine bestimmte Erklärung an die Motivation anderer voraus, bestimmte Straftaten zu begehen ... Die Formulierungen Tod dem Klerus und Tod Wehner und Brandt lassen zwar erkennen, daß der Tod der beiden Politiker und des Personenkreises, der mit dem Begriff Klerus umrissen ist, nach Meinung des sich Äußernden erwünscht ist. Vom Wortsinn her bleibt aber offen, ob der Tod durch eine strafbare Handlung herbeigeführt werden soll. Bei beiden Parolen kommt hinzu, daß sie verbal nicht zu einer Handlung auffordern und deshalb lediglich das Erwünschtsein des Todes der genannten Personen zum Ausdruck bringen. Auch wenn dennoch das Einverständnis mit einer Straftat gemeint sein sollte, so wäre das bloße Gutheißen solcher Straftaten nicht mit einer Aufforderung dazu gleichzusetzen. Die Erklärung, eine Straftat sei begrüßenswert, notwendig und unvermeidbar, ist, wenn in ihr nicht die Kundgebung liegt, einen anderen zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen bringen zu wollen, keine Aufforderung zu Straftaten, sondern lediglich eine Befürwortung von solchen. Nach Streichung des § 88a ist die Befürwortung von Straftaten nicht mehr mit Strafe bedroht... Die Parole Hängt Brandt fordert zwar verbal zu einem strafbaren Verhalten ... auf. Ob sie objektiv den Eindruck erweckt, die Aufforderung sei ernstlich gemeint, bedarf aber der Prüfung, da nicht von vorn herein auszuschließen ist, daß sie als unpassende Unmutsäußerungen eines Außenseiters zu verstehen sind, der in ungehöriger Form sein Mißfallen über die genannten Politiker zum Ausdruck bringen wollte.“

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