: Immer noch offen: Das „Celler Loch“
■ In Hannover beginnt heute der Parlamentarische Untersuchungsausschuß zum „Celler Loch“ mit der Beweisaufnahme / Die V–Leute Berger und Loudil werden als Zeugen „vertraulich“ vernommen / Die taz sprach mit dem Niederländer Henk Wubben, der den V–Leuten als „Schleuse“ in den Untergrund dienen sollte
Amsterdam/Hannover (taz) - Seine „marxistisch–leninistische“ Vergangenheit will und kann der niederländische Publizist Henk Wubben nicht verleugnen. Er war von 1969 bis 1973 „1. Sekretär der Roten Jugend“, einer aus der Jugendorganisation der niederländischen ML–Partei hervorgegangenen, an China orientierten Gruppierung. Auf dem Schreibtisch seiner Amsterdamer Wohnung steht noch immer eine Büste von Mao Tse Tung. „Ich lebe heute von Publikationen über China, den Fernen Osten und die Rolle der Chinesen in den Niederlanden“, sagt der 46jährige. Im ersten 70seitigen Untersuchungsbericht, den die Niedersächsische Landesregierung in Hannover dem Parlamentari schen Untersuchungsausschuß zum „Celler Loch“ vorgelegt hat, wird Henk Wubben allerdings als „Mann mit vielfältigen Kontakten zur internationalen Terrorismus– Szene und mit weitgehenden Kompetenzen“ bezeichnet. Wubben fungiert in diesem offiziellen Bericht über den am 25.7.1978 vom Niedersächsischen Verfassungsschutz inszenierten Anschlag auf den Celler Knast als dritte Hauptperson. Auf der einen Seite agieren da die beiden V– Leute Manfred Berger und Klaus– Dieter Loudil, die mit Hilfe der „Aktion Feuerzauber“ - so taufte der V–Schutz selbst den Anschlag - „in den harten Kern von Terrorismus–Gruppierungen eindringen“ sollten. Und Zielperson der gesamten „Operation Emsland“ war Henk Wubben. Nach dem Bericht soll er im Glauben, die Befreiung von Sigurd Debus werde tatsächlich vorbereitet, dem V– Mann Berger „Geld, Waffen und falsche Papiere“ übergeben haben. Bei ihm in den Niederlanden wollten die V–Leute nach dem Celler Anschlag Quartier beziehen und ihn als Schleuse „zum eigentlichen Ziel“, dem „harten Kern der RAF“, benutzen. Aussage nur bei freiem Geleit Henk Wubben ist jederzeit zu einer Aussage vor dem Untersuchungsausschuß bereit, falls ihm „freies Geleit“ sicher ist. Er steht heute noch zu seiner Freundschaft zu Sigurd Debus, der 1981 im Hamburger Krankenhaus Barmbek an den schweren Verletzungen verstorben ist, die ihm während eines Hungerstreiks bei der Zwangsernährung zugefügt wurden. Er hat Sigurd Debus, der ursprünglich ebenfalls Mitglied der KPD/ML war, in den Jahren 1972/73 kennengelernt. Wubben: „Er war ein sympathischer, aufrechter Mensch, der an die Vorbildwirkung kleiner bewaffneter Gruppen glaubte, die einfach anfangen mit der Veränderung der Gesellschaft.“ Er selbst sei zwar damals wie heute auch kein Pazifist, - „Ich stehe zur revolutionären Gewalt“ - habe jedoch schon bei seinen Begegnungen mit Debus die Position vertreten, daß kleine Guerillagruppen abgeschnitten seien von der Gesellschaft und dadurch wirkungslos blieben. „Als dann der V–Mann Berger, der sich Fritz nannte, im Januar 1978 zum erstenmal in Amsterdam auftauchte, hatte ich fast fünf Jahre lang keine Nachricht mehr von Sigurd bekommen“, sagt Henk Wubben, aber „ich war natürlich bereit, ihm zu helfen“. Die Gruppe um Sigurd Debus, die nicht mit der RAF zu verwechseln ist, hatte nur wenige Monate im Untergrund existiert und zwei Banküberfälle begangen. Debus hatte Anfang 1978 bereits Jahre der Isolationshaft und auch einen Hungerstreik hinter sich. „Fritz“, so erinnert sich Wubben an die erste Begegnung mit dem V–Mann, „erzählte mir eine herzzerreißende Geschichte: Debus habe vor seiner Verlegung nach Celle in Hamburg in vollständiger Isolation gesessen. Er sei physisch völlig am Ende, abgemagert, könne sich nicht konzentrieren und habe Schwierigkeiten zu sprechen.“ Nach seiner aktiven ML–Zeit hatte Henk Wubben in Asterdam ein sozialwissenschaftliches Studium begonnen und sich dort dem „medizinisch–juristischen Komitee für politische Gefangene“ angeschlossen, das damals in den Auseinandersetzungen um die Isolationshaft auch in der bundesdeutschen Öffentlichkeit eine bedeutende Rolle spielte. Durch die Schilderung des V–Mannes, so sagt er heute, „wurden meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt“. Der „Befreiungsplan“ Berger hatte den Kontakt zu Wubben über ein Treffen von Anti–Folter–Gruppen in Amsterdam hergestellt.Er brachte ein Schreiben von Debus mit, in dem von einer vierköpfigen politischen Gruppe die Rede war, die er im Celler Knast aufgebaut hatte. Zu der aber in Wirklichkeit, wie man heute weiß, außer Debus selbst nur drei V–Leute gehörten. Und Berger präsentierte bereits, so sagt Henk Wubben, einen Plan: Er beabsichtige mit einem zweiten Gefangenen aus der Gruppe, dem Jugoslawen Marco, Debus bei einem Zahnarzttermin in Celle zu befreien. Kleidung und falsche Papiere für Debus habe man schon besorgt. Von der Gruppe, die Debus in Celle gegründet habe, sei nur noch Olli - so der damalige Deckname von Klaus–Dieter Loudil - im Knast. „Ich habe mich“, so sagt Henk Wubben, „schon bei diesem ersten Treffen prinzipiell bereiterklärt, Sigurd Debus aufzunehmen, meldete aber gegenüber Berger drei Vorbehalte an: Ich verlangte einen zweiten Brief von Debus, in dem er Details meiner alten Wohnung schildern sollte. Machte zur Bedingung, daß es bei der Befreiung nicht zu einem Schußwechsel oder Opfern kommen dürfe. Außerdem sagte ich allein die Aufnahme von Debus zu, nicht aber die von Berger oder dem Jugoslawen.“ Henk Wubben will sich in der Folgezeit noch insgesamt sechs– oder siebenmal mit Berger, nie aber mit Loudil oder „Marco“ getroffen haben. Bei einer Reihe dieser Treffen gibt es zeitliche Übereinstimmungen zwischen den Angaben Wubbens und denen des Verfassungsschutzes, die sich in dem Bericht an den Ausschuß finden. Merkwürdigerweise taucht jedoch gerade diese erste Zusammenkunft zwischen Wubben und Berger in dem Bericht überhaupt nicht auf, wie dort auch nur von zwei V–Leuten die Rede ist, die an der „Operation Emsland“ beteiligt gewesen seien. Lediglich in dem Teil des Berichtes, der den Zusammenhang zwischen der „Operation Emsland“ und der von dem Multiagenten Werner Mauss eingefädelten „Operation Neuland“ behandelt, wird der dritte V–Mann erwähnt. Es handelt sich um den Jugoslawen Zeljko Susak. Susak, alias „Marco“, der im Rahmen von „Neuland“ in ein Ausbildungslager im Nahen Osten eingeschleust werden sollte, sei mit der „Operation Emsland“ lediglich „in Berührung gekommen“, heißt es. Und noch ein „Befreiungsplan“ Auch nach den Angaben von Henk Wubben hat der dritte, auf jeden Fall später von Mauss geführte V–Mann „Marco“ nur bei seinem ersten Treffen mit Berger eine Rolle gespielt. Schon bei der zweiten Begegnung etwa sechs Wochen später habe „Fritz“ dann nicht nur einen eindeutig von De bus stammenden Brief mitgebracht, sondern auch einen Zeitungsausschnitt, mit dem er das Scheitern des ersten Befreiungsplanes begründet habe. Nach dieser Meldung, die tatsächlich am 11.2.78 in niedersächsischen Zeitungen erschienen ist, hatte die Polizei zufällig ein gestohlenes Fahrzeug gestoppt und darin falsche Papiere und Kleidung für Sigurd Debus gefunden. Der Fahrer des Autos, so erläuterte Berger dann Wubben, sei „Marco“ gewesen, er habe bei der Kontrolle entkommen können und sei seitdem nicht wieder aufgetaucht. So wie bei diesem ersten Befreiungsplan, meint Henk Wubben, sei es auch mit dem nächsten gelaufen, bei dem Berger und Loudil über die Baustelle des Hochsicherheitstraktes in das Celler Gefängnis einsteigen und Debus rausholen wollten: „Immer war alles schon klar, die Befreiung von Debus schien kurz bevorzustehen, doch dann kam immer wieder etwas dazwischen.“ Während der folgenden Treffen habe Berger immer wieder neue Gründe für engere Kontakte gesucht: Mal wollte er selbst 14 Tage in die Niederlande kommen, um dort einen genau auf die Celler Gefängnismauer passenden Wurfanker zu basteln. Mal wollte Berger den V– Mann Loudil, „Olli“, 14 Tage zur Erholung zu Wubben schicken, weil der inzwischen von einem Hafturlaub nicht zurückgekehrt sei und sich in Hannover in einer konspirativen Wohnung verberge, dort aber „durchdrehe“. Und kurz vor dem Celler Anschlag tauchte Berger dann noch einmal unangemeldet in Amsterdam auf und wollte Wubben überreden, nach Hannover mitzukommen, um die Vorbereitungen für die Befreiungsaktion zu überprüfen und „sein O.K.“ zu geben. Statt Befreiung Aktion Feuerzauber Wubben hat all diese Vorschläge, die ihn in die „Befreiungsaktion“ hineinziehen sollten, abgelehnt. Auch der offizielle Bericht erwähnt zumindest eine Weigerung Wubbens, Loudil in der Zeit vor dem Anschlag in den Niederlanden aufzunehmen. „Ich war Berger gegenüber immer miß trauisch“, sagt Wubben selbst rückblickend: „Ich konnte seine fabelhaften Geschichten ja nie kontrollieren. Fritz machte immer den Eindruck, als habe er einen Anzug an, der viel zu groß ist.“ Berger habe nie seine Wohnung betreten, die Treffen zwischen ihnen fanden ausschließlich im Freien statt. „Ich habe mir immer gesagt“, so faßt Wubben seine damalige Position zusammen, „wenn Berger aufrecht, aber naiv ist und die Befreiung gelingt, dann habe ich anschließend nur die Verantwortung für Debus. Wenn Berger aber vom Geheimdienst ist, dann kommt bei allem nichts raus.“ Geld, falsche Papiere oder gar Waffen, so sagt Wubben, habe er Berger nie übergeben, „sonst wäre ich nie heil aus der Sache herausgekommen“. Fünf Tage vor dem Celler Anschlag, so heißt es im Bericht des Verfassungsschutzes, habe Berger Wubben telefonisch davon unterrichtet, daß man jetzt nach der sogenannten „Notlösung“ verfahren, einen Anschlag auf den Celler Knast verüben wolle, ohne Debus dadurch zu befreien. Wubben bestreitet, daß Berger jemals mit ihm über eine „Notlösung“ gesprochen hat, „aber der Fritz mußte ja auch seinen Auftraggebern langsam Erfolge liefern“. „Eine Woche nach dem letzten Treffen in Amsterdam rief dann Berger wieder an. Er war sehr aufgeregt“, schildert Wubben dieses Telefonat nach dem Anschlag, „Er schrie. Hast Du die Zeitung gelesen? Es ist alles falsch gelaufen! Wir haben ein Loch gesprengt. Wir haben keine Papiere mehr und brauchen unmittelbar Hilfe. Richtig Hilfe!, schrie er.“ Doch Wubben lehnte ab: „Ich hatte nie Loudil und Berger Hilfe versprochen, sondern nur Debus.“ Vier Tage später fuhr er auf eine lange vorbereitete Studienreise nach China, die 15 Studenten, deren Gruppe er leitete, können dies jederzeit bezeugen. V–Leute auf Tauchstation In der Szene, so heißt es im offiziellen Bericht über die Situation nach dem Anschlag, wurden die V–Leute nunmehr als Befreier begrüßt. Eine Ausnahme bildete hier offenbar Henk Wubben. Der Mann, bei dem sich nun die Schleusen in den Untergrund öffnen sollten, für den die GSG 9, die Bundesregierung, Landesregierungen und Verfassungsschutzbehörden in Bewegung gesetzt worden waren, ließ sich durch das Celler Loch nicht beeindrucken. Loudil und Berger haben anschließend in Paris Unterschlupf gesucht. „Betont werden muß in diesem Zusammenhang, daß die V–Leute weder den Auftrag hatten, gezielt nach Paris zu gehen - dies ergab sich nur zufällig, da die angebotene Unterbringung durch Wubben gescheitert war -, noch hatten sie dort Arbeitsaufträge irgendwelcher Art“, beschreibt der Bericht den Fehlschlag der „Aktion Feuerzauber“. Berger hat sich bei Wubben Monate später noch einmal telefonisch gemeldet. „Da aber sagte ich nur, ich kenne keinen Fritz“, gibt Wubben dieses Telefonat wieder. „Wenn Debus nicht gestorben wäre“, so sagt er rückschauend, „dann wäre das ganze eine eher komische Geschichte.“ Für den Fall, daß die Landesregierung weiterhin öffentlich behauptet, daß er Berger gefälschte Papiere, Geld und Waffen übergeben habe, will Wubben über seinen Anwalt gegen sie vorgehen. In einem anderen Fall hat er dies bereits getan. Der niedersächsische Justizminister hatte nach dem Bekanntwerden des Celler Anschlags behauptet, Wubben habe 1980 „beim Hantieren mit Sprengstoff seine eigene Wohnung gelüftet“. Von dem Vorwurf, die Explosionen in seinem Haus, die er und seine Frau nur durch einen glücklichen Zufall unverletzt überstanden, selbst ausgelöst zu haben, wurde Wubben Ende 1985 rechtskräftig freigesprochen. Er selbst sucht die Bombenleger aus dem Jahre 1980 in den gleichen Kreisen, die auch das Celler Loch gesprengt haben. „In meinem Prozeß wurde festgestellt, daß damals schon eine Minute nach der Explosion zwei Mitarbeiter des Niederländischen Geheimdienstes am Ort des Geschehens waren“, sagt er. In dem Verfahren wurden noch dutzendweise Polizisten und Angehörige des Geheimdienstes vernommen - alle wußten von nichts.
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