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Unter der Wiese ruht ein Atomkraftwerk

■ Brisanter Forschungsauftrag der Bundesregierung zur „Absenkung stillgelegter Kernkraftwerke“

25 Jahre nach Inbetriebnahme des ersten größeren Atommeilers machen sich die Betreiber langsam Gedanken, was mit den strahlenden Ruinen passieren soll. Bisherige Abrißkonzepte offenbaren große sicherheitstechnische Probleme sowie die Nöte durch fehlende Endlager–Kapazitäten. Der taz wurde jetzt ein Auftrag des Bundesministeriums für Forschung und Technologie bekannt. Das BMFT läßt untersuchen, wie man AKWs an ihrem Standort im Erdreich verschwinden lassen kann.

Man nehme ein Atomkraftwerk, untergrabe es, lasse es unter seinem eigenen Gewicht in den Untergrund sinken, schütte oben Erde drauf und planiere das Ganze wieder eben. Fertig! Die Technik ist Jahrtausende alt und soll vor allem von den Römern beim Bau von Brunnen und Brücken angewandt worden sein. Nur: Die Römer besaßen keine Atomkraftwerke. Die Bundesrepublik dagegen hat sie und sie hat einen Forschungsminister, der im vergangenen Jahr an das Münchener Ingenieur–Büro Alfred Kunz GmbH & Co und die Nukem GmbH in Alzenau einen brisanten Forschungsauftrag vergeben hat: Eine Untersuchung über die „Beseitigung stillgelegter Kernkraftwerke durch Absenken in den geologischen Untergrund“. Das Forschungsprojekt hat ein Volumen von 1,3 Millionen Mark und soll Ende des Jahres weitgehend abgeschlossen sein. Was bei Wissenschaftlern des Darmstädter Öko–Instituts zunächst für ungläubiges Kopfschütteln sorgte (“das ist uns völlig neu“), wurde der taz vom BMFT bestätigt. Auf der Suche nach kostengünstigen und sicherheitstechnisch vorteilhaften Alternativen werde die Versenkungstechnik erforscht, bestätigte der zuständige Sachbearbeiter Dr. Hübenthal im Entsorgungsreferat des Ministeriums, um gleichzeitig eilig zu betonen, daß dies noch keine Abkehr von alten Abrißkonzepten beinhalte. Hübenthal sieht im Absenkungsverfahren vor allem die Möglichkeit, Strahlenexpositionen (Verseuchungen) der Arbeiter - beim herkömmlichen Abriß eine der Hauptschwierigkeiten - zu vermeiden. Der Reaktor verschwindet in der Erde, „ohne daß da noch jemand rein muß“. Siegfried Hausner, Ingenieur bei Kunz: „Das wird ausreichend tief abgesenkt und so präpariert, daß auch sicherheitstechnisch auf lange Sicht ein Endlager an Ort und Stelle entsteht.“ Man habe mit der Versenkung zwar noch nicht das Ei des Kolumbus gefunden, aber diese alte Technik sei zumindest eine ernstzunehmende Alternative. Wie denn nun - konkret - das Absenken des Reaktorgebäudes in den geologisachen Untergrund funktionieren soll, dazu wollten weder das Münchener Ingenieurbüro noch die Nukem weitergehende Angaben machen. Dies sei ja gerade der Forschungsauftrag. Das Prinzip sieht so aus: Unter das - eventuell verstärkte - Fundament werden Stollen gelegt und das Reaktorgebäude untertunnelt. Über eine riesige Hydraulik–Anlage wird das AKW dann abgestützt und das Stollensystem entfernt, der Erdaushub abgetragen. Dann könnte die Hydraulik das Gebäude langsam absinken lassen. Selbst AKW–kritische Ingenieure sehen „bergbautechnisch überhaupt keine Schwierigkeiten“. Das Absenken sei sicherlich machbar, werde aber „wahnsinnige Kosten“ verursachen. Um sich eine Vorstellung von den Dimensionen zu machen: Das Reaktorgebäude eines modernen Atommeilers ist rund 60 Meter hoch. Die Absenkung müßte also mindestens 80 m tief hinuntergehen. Neben den Stütz– und Hydrauliktechniken ist vor allem ein geeigneter Untergrund notwendig. Die Absenk–Technik komme wegen der unterschiedlichen Geologie sicherlich nicht für alle AKW–Standorte in Frage, schränkt denn auch Hans–Jörg Wingender von Nukem ein. Das Forschungsprojekt ist zunächst auf keinen konkreten AKW–Standort ausgelegt, sondern eine grundsätzliche Untersuchung. Nukem zeichnet dabei für die sicherheitstechnischen Aspekte des Forschungsauftrags verantwortlich. Für den Nukem– Ingenieur Wingender ist klar, daß bei einem einmal abgesenkten und verbuddelten Reaktor „nichts mehr an die Oberfläche dringt“. Vor der Vergrabung sollen die „ganz heißen Bestandteile“ (Hausner), also Brennelemente und Reaktordruckbehälter, ausgeräumt und nach bisherigen Konzepten entsorgt werden. Der Rest des Reaktors verschwände dann unter der Erde. In den USA soll es ähnliche Überlegungen für „bestimmte technische Anlagen“ geben, weiß das BMFT. Schließlich seien Absenkverfahren auch für große und sensible Gebäude längst Stand von Wissenschaft und Technik. Über den Stand des Forschungsvorhabens wollten die beiden Ingenieure Hausner/Wingender auf dem Seminar „Bauen und Umweltschutz“ am 11. März in Karlsruhe berichten. Sie wurden allerdings kurzfristig zurückgepfiffen. Offizielle Version: Das Vorhaben sei noch nicht soweit fortgeschritten, daß man an die Öffentlichkeit gehen wolle. Bislang ist das BMFT–Projekt nur wenigen Insidern bekannt. Der energiepolitische Sprecher der Grünen, Wolfgang Daniels, wollte denn auch nicht glauben, daß das Forschungsvorhaben eine „ernsthafte Geschichte“ sei: „Das sprengt meine Vorstellungskraft“. Seine naheliegende Erklärung für solch eine Untersuchung: Angesichts der großen Schwierigkeiten beim AKW–Abriß flüchte man sich selbst in solch kuriose Dinge. „Da spielt inzwischen jeder noch so wilde Vorschlag eine Rolle, weil man mit den alten Konzepten nicht weiterkommt“. Sollte die Bundesregierung die Vergrabung von Atomkraftwerken an Ort und Stelle ernsthaft weiterverfolgen, wäre dies eine völlige Abkehr von bisherigen Entsorgungskonzepten, die immer noch an der Vorstellung von der völligen Beseitigung ausgedienter Meiler bis zur idyllischen grünen Wiese festhalten. Bei einer Versenkung wäre die Wiese vielleicht tatsächlich grün, nur darunter siehts nicht allzu rosig aus. Manfred Kriener

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