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Hamburger Kessel bringt Trinkgeld

■ Statt der geforderten 100 Mark sprach das Zivilgericht den 115 Klägern 200 Mark Schadensersatz zu / Polizei hat „gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen“ / Richter: „Machen Sie sich einen schönen Sonntag“ / Weitere 80 Klagen

Aus Hamburg Michael Berger

Die Hansestadt Hamburg muß 115 Frauen und Männern, die am 8. Juni des vergangenen Jahres mit anderen zusammen von Bereitschaftspolizisten eingekesselt worden waren, pro Nase 200 Mark Schmerzensgeld bezahlen. Die 3. Zivilkammer des Hanseatischen Landgerichts sprach gestern damit den Klägern das Doppelte ihrer Forderungen zu. Hundert Mark Schadensersatz hatten die ersten 115 Kläger als lediglich „symbolische“ Wiedergutmachung gefordert. Über weitere 80 Forderungen wird im Mai verhandelt. „Machen Sie sich damit einen schönen Sonntag auf Staatskosten“, fügte Richter Timmermann seiner Urteilsbegründung hinzu. Einen Tag nach der großen Brokdorf–Demonstration vom 7. Juni 1986 wurden 100 Demon stranten auf dem Hamburger Heiligengeistfeld von einem Polizeigürtel eingekesselt. Die Einkesselung dauerte für einzelne Demonstranten bis zu 15 Stunden, in denen sie weder Nahrung zu sich nehmen noch die Toilette aufsuchen durften. Der Innenausschuß der Bürgerschaft und das Verwaltungsgericht bezeichneten in der Folgezeit die Polizeiaktion als rechtswidrig, und der damals am tierende Innensenator Lange verlor seinen Posten. Nach Auffassung der 3. Zivilkammer des Hanseatischen Landgerichts erfüllte die Einschließung und anschließende Ingewahrsamnahme der Demonstranten „den Tatbestand einer Amtspflichtverletzung“. Die Zusammenkunft auf dem Heiligengeistfeld sei eine „Versammlung“ im Rechtssinne gewesen, „die nur nach Maßgabe des Versammlungsgesetzes aufgelöst werden durfte“. Die Kläger wollen nun zusammen überlegen, wie sie das aus dem sofort vollstreckbaren Urteil gewonnene Staatsgeld „politisch sinnvoll“ anlegen können, „für weitere Prozeßkosten“ eventuell oder, wie ein anderer Kläger erwog, „für die Bürgerinitiative Umweltschutz Unterelbe“.

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