Care–Pakete aus dem Norden für die Bayern

■ Bremer und Hamburger Elterninitiativen bringen strahlenarme Milch nach Rosenheim / Die ortsansässigen Bauern fühlen sich durch den Gegenzug zum Molkezug bedroht / „Symbolische Geste“ sorgt für Wirbel hinter dem „Weißwurstäquator“

Aus Rosenheim Luitgard Koch

Völlig ausgebeult ist die Tasche seines Lodenmantels. Eine blau– gelbe Milchtüte ragt heraus. „De lass ma jetz messn, und dann vergleich ma“, meint der 37jährige Rosenheimer Bauer Georg Soyer finster. Neben ihm zieht sein Nachbar aufgebracht einen zerknüllten Zeitungsausschnitt aus der Tasche. „Bremer Elterninitiative bringt unbelastete Milch nach Rosenheim und in den Chiemgau“, heißt es in dem Artikel. „Des hod de Bauern auf de Barrikaden bracht“, deutet er auf das Wörtchen „unbelastet“. „Was braucha mir da preußische Missionare. De gleiche Milli liefern mir a!“ Der Kreisobmann des Bauernverbandes, Sepp Ranner (47), verdeutlicht die Situation. Sein Bauerntrupp nickt. Zur Untermauerung dieser Behauptung hat Leonhard Hayer gleich die Meßergebnisse, die ein Münchener Institut namens „Medical Service“ durchgeführt hat, mitgebracht. Vier Bauern aus seinem Dorf haben die Milch ihrer Kühe dort untersuchen lassen. Die Werte vom 23. Februar liegen zwischen 17 und 32 Becquerel. „Sie fraß es auf mit Wonne, das kleine Cäsium“, tönt die „Moritat vom Isotop“, begleitet von Leierkastenmusik, über den Rosenheimer Max–Josephs–Platz. „Ge, singts hoid a mit“, fordert Gitta Tolxdorff (37) von der Rosenheimer Elterninitiative gegen Atomkraft die Bauern lachend auf. „Mir singa erst nach da dritten Maß, drum san ma a ned im Kirchenchor“, bekommt sie augenzwinkernd zur Antwort. Ganz so verbissen ist man dann doch nicht. Trotzdem: Die „symbolische Geste“ der Bremer und Hamburger Elterninitiativen hat für einigen Wirbel im bayerischen Oberland gesorgt. Am vergangenen Wochenende traf der Gegenzug zum Molkezug in Form eines VW–Busses mit weniger belasteter Milch aus Norddeutschland hinter dem „Weißwurstäquator“ ein. Schon zwei Tage vor der Aktion erhielt Christa Ender (38) von der Rosen heimer Elterninitiative gegen Atomkraft einen Anruf aus dem Ordnungsamt. Das Verteilen der Milch sei nur Erzeugern und Herstellern gestattet, hieß es plötzlich. Alles andere müsse als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Rosenheims Oberbürgermeister Michael Stöcker (CSU) sagte den geplanten Empfang der Delegation vor dem Rathaus ab. Bauernverband und CSU–Politiker hatten ihn unter Druck gesetzt. Ihr Vorwurf: In Wirklichkeit stecke hinter der Aktion ein Kampf norddeutscher Molke reien gegen süddeutsche. Sogar der Verdacht, das ganze Unternehmen sei von der Industrie gesponsert, wurde geäußert. „Ich versichere an Eidesstatt, daß das Lügen sind, wir haben keinen Pfennig bekommen“, wehrt sich Lehrer Ottmar Hinze aus Bremen gegen diese Verleumdungen vor der Presse. Runde 2.000 Mark habe die Aktion die Norddeutschen gekostet. Im Klosterstüberl des altbayerischen Gasthauses Stockhammer setzen sich auch Kreisobmann Ranner und seine Bauern zur Pressekonferenz an die abgebeizten Holztische. Eltern, Mütter und Bauern rücken zusammen. „Mir braucha koan Zug aus Bremen, der uns no zusätzlich in die Pfanne haut, wo uns das Wasser bis zum Hals steht“, meint der Bauer Sepp Wallner aufgebracht. Am Tag zuvor gossen Bauern aus dem Oberland aus Protest gegen Milchbeschlüsse der EG–Agrarminister 300 Liter Milch vor dem Europäischen Patentamt in München auf die Straße. Um mindestens acht Prozent soll die Milch danach weniger kosten. Schon allein Tschernobyl habe zu einem Preisverfall von 2,4 Pfennig pro Liter geführt, erklärt der Kreisobmann den Elterninitiativen. „Mia kriagn de Watschn“, beschwert sich Ranner. „Aber ned von uns“, entgegnet Gitta Tolxdorff. Mit dem Hinweis, daß er ja selbst vier Kinder zuhause habe, signalisiert dann auch Ranner Verständnis. „Das könnte doch ein Anstoß sein, eine solche Aktion auch mit einheimischer Milch durchzuführen“, schlägt die Hamburgerin Reinicke vor. Im Prinzip hat der Kreisobmann nichts dagegen, denn er weiß, welche Landkreise „strahlenarme“ Milch produzieren. Doch er verweist auf ein „rechtliches Problem“: Nach dem „Milch– und Fettgesetz“ von 1936 darf ein Bauer nicht mehr als zehn Liter direkt vermarkten. Dennoch, als sich die Bauern verabschieden, will man auf jeden Fall den Dialog fortsetzen, und Kreisobmann Ranner will demnächst Mitglied beim Bund Naturschutz werden.