: Auf dem Land formiert sich der Widerstand
Es begann bei Coca–Cola in Asuncion: 1983 schickte das US–Unternehmen fünf unbequemen Arbeitern die Kündigung. Kollegen organisierten ein Solidaritätskomitee und einen Boykott des braunen Gesöffs. Die offizielle Gewerkschaft CPT - die bis heute einzig anerkannte im Land - hatte den Kopf in den Sand gesteckt. Als die Coca–Cola–Umsätze merkliche Einbußen erlitten, gab die Firma nach und stellte die gefeuerten Arbeiter wieder ein. „Dieser Erfolg hat uns bewogen“, so Victor Baez Mosqueira, „1985 eine regimeunabhängige Gewerkschaft zu gründen, den MIT (“Movimiento Intersindical de Trabajadores“). „Wir sind an die Öffentlichkeit getreten, um uns zu schützen“, so Baez Mosqueira, „in der Illegalität hätte uns die Polizei viel einfacher unterdrücken können“. Am 1. Mai 1986 organisierte der MIT eine Kundgebung in einer Kirche; ein Platz in der Innenstadt war von den Behörden verweigert worden. Der Zug der etwa 3.000 Arbeiter aus der Kirche wurde zur Demonstration, mit Spruchbändern und Parolen. Die Polizei kesselte die Menge ein, schoß Tränengas und knüppelte die MIT–Anhänger zusammen. Heute besteht der MIT aus etwa 8.000 Mitgliedern, Tendenz steigend. Die regimetreue CPT, die man telephonisch über das Arbeitsministerium erreicht, versucht in den Einzelgewerkschaften die letzten Stellungen durch Wahlbetrug und Schlägertrupps zu halten. International ist sie isoliert; 1979 wurde sie zum zweiten Mal aus dem Internationalen Bund Freier Gewerkschaften (IBFG) ausgeschlossen, und nachdem zwei Jahre später die nordamerikanische AFL/CIO ihre jahrelange Unterstützung eingestellt hatte, halten der CPT nur noch die rechten Peronisten der argentinischen CGT die Stange. Der wichtigste Arbeitskampf im vergangenen Jahr fand im einzigen staatlichen Krankenhaus statt, im Hospital de Clinicas. 40 Tage lang streikten Krankenschwestern und Ärzte für die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. Am Anfang ging es nur um Lohnforderungen, doch bald auch um die Organisations– und Meinungsfreiheit. Das Krankenhaus ist mit Parolen übersät. Die Polizei schlug die Demonstranten zusammen und verhaftete die Führer. „1986 ist eine neue soziale Bewegung entstanden“, sagt Dr. Carlos Filizzola, Chef der Ärztegruppe, „1987 wird das Jahr der Konsolidierung“. Filizzola saß im vergangenen Jahr vier mal im Knast, wurde aber jedesmal wieder freigelassen. Während den streikenden Ärzten in der Haft kein Haar gekrümmt wurde, wurde die Krankenschwester Elsa Mereles im November zusammengeschlagen und blieb mehrere Wochen im Gefängnis. Die soziale Opposition - Gewerkschaft, Studenten– und Frauengruppen - hat sich im EPOS (Abkürzung für: „ständiges Treffen der sozialen Organisationen“) zusammengeschlossen. Dort werden Demonstrationen und Kampagnen geplant. Die Oppositions– parteien sind in diesem Gremium nicht vertreten. Gewerkschafter Baez Mosqueira: „Als wir den Boykott gegen Coca–Cola organisierten, haben die Politiker noch nicht einmal eine Solidaritätser klärung geschickt.“ Im EPOS vertreten sind auch die Bauernorganisationen: MCP, denen ein maoistischer Touch nachgesagt wird, und Onondivepa (“alle gemeinsam“) des Bauernführers Corazon Medina. MCP hat nach eigenen Angaben etwa 100.000 Mitglieder und die Gruppe von Medina ist etwa ebenso stark. Die MCP entstand 1980. Viele ihrer Aktivisten waren in den Ligas Agrarias aktiv, jener Landbewegung, die 1976 endgültig zerschlagen wurde. Sie definiert sich selbst als gewerkschaftlich, gewaltfrei und von Kirche und Parteien unabhängig. Politiker im Abseits Während die sozialen Bewegungen den kommenden 1. Mai und die nächsten Aktionen vorbereiten, brüten die Oppositionspar teien, die sich im Bündnis des „Acuerdo Nacional“ zusammengeschlossen haben, über der Frage, ob sie sich an den Wahlen im Februar 1988 beteiligen sollen; besonders die Christdemokraten und die sozialdemokratischen Febreristen (benannt nach einem Militärputsch vom Februar 1936) liebäugeln damit, nachdem ihre internationalen Bündnispartner ihre ständige Abstinenz bei den stets getürkten Wahlen kritisiert haben. Die Politiker des Acuerdo, von denen viele jahrelanges Exil und Verfolgung hinter sich haben, erscheinen heute als müde alte Männer, denen - wie Dr. Filizzola beobachtet hat - „jegliche Basis in der Bevölkerung fehlt“. Ende Februar tauchte der „Plan Z“ auf. „Z“ steht für Aldo Zuccolillo, einen steinreichen Unternehmer und Herausgeber der vom Regime geschlossenen Tageszeitung „ABC Color“. Er ruft zur Wahlbeteiligung auf und hat sogar einen Kandidaten parat: Caballero, Sohn eines Ex–Präsidenten, der bislang auf der politischen Bühne keine Rolle gespielt hat. Zuccolillo will durch den Wahlkampf Stroessners Mannen weiter in die Defensive zwingen. Der Unternehmer gilt als Hoffnungsträger der US–Botschaft. „Die USA werden alles unternehmen, um ein weiteres Kuba oder Nicaragua zu verhindern“, glaubt er. Miguel Saguier von den „Authentischen Liberalen“ bezweifelt, daß die USA zur Intervention gegen Stroessner bereit seien. Schon 1962 habe die Kennedy–Administration Druck auf die Opposition ausgeübt und zur Wahlbeteiligung aufgerufen. Diese Beteiligung habe das Regime in den vergangenen 25 Jahren gestärkt und die parlamentarische Opposition zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. „Die USA wollen mit der Wahlbeteiligung nur ein Ventil für den wachsenden Widerstand der Bevölkerung schaffen und der Diktatur internationales Ansehen verschaffen“. Unterdessen macht sich die US– Botschaft bei der Opposition beliebt, kaum eine Veranstaltung ohne einen US–Diplomaten im Publikum. Im Februar folgte Botschafter Clyde Taylor einer Einladung der bürgerlichen „Frauen für Demokratie“. Als er das Haus verließ, schoß die Polizei mit Tränengas auf ihn und riegelte das Gelände ab. Ranger aus der Botschaft mußten ihren Chef befreien. Auch wenn die USA lieber einen anderen Mann als Stroessner an der Spitze des Staates sehen würden - sie werden sich mit ihm weitere fünf Jahre lang abfinden. Schließlich ist er seit Jahrzehnten ein treuer Verbündeter und ein Bollwerk gegen den Kommunismus. Lediglich den Heereschef, General Rodriguez, so wurde der Botschafter unlängst vorstellig, würde Washington als zukünftigen Präsidenten nicht akzeptieren. Rodriguez gilt als Drahtzieher im florierenden Drogenhandel, und mit der Kokainmafia an der Macht hat das State Department schon in Bolivien ungute Erfahrungen gesammelt. Einen Nachfolger gibt es für den 73jährigen Stroesser noch nicht. Dieser sei wohlauf, heißt es in Asuncion, und schließlich habe Adenauer in diesem Alter erst seine Karriere begonnen, heißt es in Regierungskreisen. Stroessners Söhne scheiden als Kronprinzen aus. Der eine sei dem eigenen Geschlecht zugeneigt, so klatscht man gehässig in der US–Botschaft, und der andere drogenabhängig. Und eine Stroessner–Tochter habe ausgerechnet einen Sohn von General Rodriguez geehelicht. Aber an der Ablösung des alten Diktators sind viele interessiert. Intrigen werden gewoben, Gerüchte gestreut.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen