Druck auf die ARD

„Was hat ein Ministerpräsident in einem Rundfunkrat zu suchen? Was haben Parteifunktionäre dort zu tun, die doch aus Gründen des Parteistrebens nach Propaganda und gar Agitation Sitze erhalten haben und nutzen?“ Diese Fragen stellte sich 1984 kein geringerer als der erste Chefredakteur der Deutschen Presseagentur, Fritz Sänger. Die Alt– Parteien haben sich des Rundfunks bemächtigt und wurden dabei nur wenig behindert, auch nicht von den Anstalten, meinte er. Die Geschichte der massiven Interventionen durch die verschiedenen Aufsichtsgremien der öffentlich–rechtlichen Rundfunkanstalten erreichte nun mit dem Fall Report–Moser einen neuen Höhepunkt. Wolfgang Moser, seit acht Jahren Report–Redakteur, hatte mit seinem Beitrag, „Gibt es einen Zusammenhang zwischen Atomkraft und Mißbildungen bei Mensch, Tier und Pflanzen?“, in der Februar–Sendung von Report Baden–Baden die gesamte Atomindustrie und ihre Lobby auf den Plan gerufen. Drei Tage nach der Sendung flippte der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Edmund Stoiber (CSU), aus. Er telexte an den Südwestfunk–Intendanten Willibald Hilf (CDU), der Moser– Beitrag sei ein „apokalyptisches Horrorgebilde“. Die Grundaussage des Report– Stückes: Die Bevölkerung ist nicht nur durch Unfälle in Atomkraftwerken gefährdet, sondern bereits durch den täglichen Betrieb. Die angeblich verletzte Rechtsvorschrift lieferte Stoiber bei der hochoffiziellen Beschwerde gleich mit: Die Sendung habe gegen die „Gebote der Wahrheit und Sachlichkeit, die in gleicher Weise im bayerischen Rundfunkgesetz und im Staatsvertrag über den SWF niedergelegt“ seien, verstoßen. Mit der knappen Mehrheit von 10:8 Stimmen bei zwei Enthaltungen schloß sich der SWF–Fernsehausschuß dieser Sichtweise an. Doch ausgerechnet für diesen umstrittenen Beitrag führte der SWF eine zweimalige Abnahmeprozedur durch - und erklärte ihn dann für „sendefähig“. Das hochkarätige Abnahmeteam bestand immerhin aus drei SWF–Justitiaren, Fersehdirektor Dieter Ertel, Chefredakteur Kleinmann und Redaktionsleiter Franz Alt. Mit der Abnahme eines Beitrages geht in der Regel automatisch auch die Verantwortung auf die Abnehmer über. Nach der Stoiber–Beschwerde und der agressiven Anzeigenkampagne der Atomindustrie in zahlreichen Zeitungen gegen das Report–Magazin wurden nicht etwa das Abnahmeteam durch den Intendanten Willibald Hilf gefeuert, sondern der Redakteur Wolfgang Moser. Die vielgepriesene Meinungsvielfalt in den öffentlich– rechtlichen Rundfunkanstalten beschrieb der frühere Chefredakteur des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), Walter Steiger, schon 1955 mit den Worten: „... Der linke CDU–Kommentator und der rechte SPD– Kommentator waren gern gelitten, aber ganz frei war nur der Antikommunismus.“ Der NWDR wurde nicht zuletzt wegen einer von Alt–Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und dem nordrhein–westfälischen Ministerpräsidenten Arnold (CDU) inszenierten Diffamierungskampagne, der Sender sei „links“ und „kommunistisch“, zerschlagen. Die Beute teilten sich dann die Parteien. Den NDR erhielt die SPD, den WDR damals die CDU. Das Interventionsgeschäft gehört seitdem zum Alltag der Sendeanstalten. Einmal ist es eine Kabarett–Sendung, die verzögert wird oder erst gar nicht ausgestrahlt werden darf, wie beispielsweise in Bayern der „Scheibenwischer“. Ein weiteres Mal ist es ein politisches Magazin, auf das mittels eines Kontrollgremiums nachträglich eingewirkt wird. Panorama wurde selbst wegen seiner Berichte über die Flick–Gelder und den Selbstmord des Türken Kemal Altun durch den NDR– Rundfunkrat gerügt. Bleibt noch eine andere Variante. Am 1. November 1984 produzierte der Bayerische Rundfunk in der ARD eine Fernseh–Diskussion mit Bundeskanzler Helmut Kohl zum Thema „Halbzeit in Bonn - Zwei Jahre christlich–liberale Koalition“. Eingeladen war zunächst auch der Chefredakteur des Magazins Der Spiegel, Erich Böhme. Doch auf sanften Druck des Kanzleramtes, so hieß es, lud ihn der Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, Wolf Feller, wieder aus. Felix Kurz