Schmierenkabinett

■ Regierungsbildung in Bonn

Damals, vor vier Jahren und in den Monaten danach, konnte man noch mit nekrophiler Vorfreude das Kohlsche Kabinett betrachten. Affairen und Inkompetenz versprachen Verfall, und Verfall war immerhin die einzig verbliebene Kategorie der Vernunft, die die Bonner Regierungspolitik noch übrigließ. Angesichts des neuen Kabinetts fällt auf, an wieviel Zumutung man sich gewöhnt hat und daß die Hoffnung auf Dekomposition nun auch vorbei ist. Da in den Koalitionsverhandlungen die wichtigsten Streitpunkte (Demonstrationsrecht, Außenpolitik) auf das Unter–dem–Kabinettstisch–Treten vertagt wurden, sind Personenentscheidungen eben die Signale. Daß eine durch das Wahlergebnis stärkere FDP den Justizminister Engelhard beibehält, zeigt, was dieser Partei der Anspruch auf eine liberale Rechtspolitik wert ist. Die eigene Partei traut ihm ohnehin nur die Kompetenz als Pfeifenraucher zu, und die Spottlust wird nur von der Rührung gedämpft. Dennoch entschied sich die FDP–Fraktion mit überwältigender Mehrheit für Engelhard und gegen Baum. Ein Signal stellen auch die beiden neuen Kabinettsmitglieder Möllemann für Bildung und Hans Klein für Entwicklungshilfe dar. Beide sind Experten für Politik als Werbung. Möllemanns Qualifikation liegt im Fuß, den er schon immer in der Tür hatte. Niemand erwartet, daß er sich auf dem schwierigen Terrain der Zusammenarbeit von Bildung und Wissenschaft zwischen Bund und Ländern bewähren kann oder will. Und CSU–Hans „Jonny“ Klein? Er ist qualifiziert als Stimme seines Herrn Strauß. Eine Regierung also der faulen Kompromisse, die die Zeichen der Zeit apathisch ignoriert, mit Wörner als Verteidigungsminister in der Zeit der Gorbatschowschen Abrüstungsvorschläge, mit einem Umweltminister auf Abruf. Eine Regierung, die sich eine Opposition nur wünschen kann. Eine Regierung also, die kaum zu erschüttern ist. Klaus Hartung