NUKEM–Arbeiter mit Plutonium verseucht

■ Teilstillegung der NUKEM erfolgte bereits Ende Februar / Über Verseuchung bei neun weiteren Arbeitern liegen bisher noch keine Untersuchungsergebnisse vor

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Wie erst jetzt bekannt wurde, hat sich bei der Hanauer Atomfabrik NUKEM bereits am 27. Februar ein folgenschwerer Plutonium–Unfall ereignet. Beim Öffnen einer Metallhülse, in der sich - laut Deklaration durch das Kernforschungszentrum Karlsruhe - 4,3 Gramm Uran befinden sollten, wurde zumindest ein Arbeiter mit dem hochgiftigen, krebserregenden Plutonium verseucht. Von neun weiteren NUKEM– Mitarbeitern werden noch Stuhl– und Urinproben untersucht. Auch bei der Hanauer Firma ALKEM hat sich am Freitag ein Zwischenfall mit Plutonium ereignet. Ein Mitarbeiter des Unternehmens kam mit dem hochgiftigen Stoff durch einen Riß in einem Handschuh in Berührung. Wie das Kernforschungszentrum Karlsruhe auf Nachfrage der taz mitteilte, sei das der NUKEM gelieferte Material „kein hauseigenes“ gewesen. Pressesprecher Körting: „Das in Stahl eingeschweißte Uran wurde uns 1970 von dem europäischen Institut für Transurane geliefert. Bei der Eingangs–Messung war Plutonium damals nicht nachweisbar.“ Körting versicherte weiter, daß „das Zeug“ im Kernforschungszentrum nicht ausgepackt worden sei. Wie der Pressesprecher des hessischen Wirtschaftsministers Ulrich Steger, Reinhard Raack, erklärte, sei seine Behörde am 27. Februar von der NUKEM über den Vorfall informiert worden. Steger, so Raack, habe daraufhin „sofort“ die Stillegung des betroffenen Teilbereichs angeordnet. Stuhlgang und Harn aller Personen, bei denen auch nur der Verdacht auf eine mögliche Kontaminierung bestanden habe, seien umgehend untersucht worden. Mit der Dauer dieser „komplizierten Untersuchungen“ begründete er auch die Verzögerung bei der Information über den Vorfall bei der NUKEM. Außerdem sei es die Aufgabe der NUKEM, die Öffentlichkeit über Unfälle und Störfälle im Betriebsbereich in Kenntnis zu setzen. Hessens Grüne hatten Steger gestern bereits die „Vertuschung des unglaublichen Plutonium–Unfalls“ vorgeworfen. Stegers Verhalten, so Grünen– Pressereferent Herrmann, stehe im Einklang mit dem „verschleiernden Kurs in dem Plutoniumstaat“, den Steger bereits in Sachen ALKEM beschritten habe. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Von der NUKEM selbst war am Freitag keine ausführliche Stellungnahme zu den Vorfällen zu erhalten. NUKEM–Pressesprecher Jörg Pompetzki, so die lapidare Auskunft seiner Sekretärin, befinde sich „auf Geschäftsreise“. In einer knappen Presseerklärung vom Donnerstag teilte die NUKEM lediglich mit, daß in dem von Karlsruhe angelieferten Uranmaterial „Spuren von Plutonium“ festgestellt worden seien: „Im Hinblick auf eine mögliche Konta mination der Betriebsräume wurden die Arbeiten in dem entsprechenden Betriebsteil vorübergehend eingestellt und ein breites Meßprogramm eingeleitet.“ Der Landesverband der hessischen Grünen forderte die unverzügliche Einleitung einer „schonungslosen Untersuchung“ der Vorgänge bei der NUKEM. Landesgeschäftsführerin Karin Guder erklärte, daß sich vor allem die hessischen Sozialdemokraten, die so vehement für die Erhaltung der Arbeitsplätze in Hanaus Atomfabriken eingetreten seien, jetzt fragen lassen müßten, wie lange sie diese „radioaktive Zeitbombe“ noch ticken lassen wollten. Wie der Radiologe Gerhard Schneider, Arzt an den Städtischen Kliniken in Darmstadt, im Gespräch mit der taz erklärte, passiere das Plutonium als Alpha– Strahler die Darmschleimhäute. Die Entstehung eines Darmkarzinoms sei dabei genauso wenig auszuschließen wie die Entstehung von Lungenkrebs, falls sich Plutonium–Partikel in den Lungenbläschen festsetzen sollten. Nach der sogenannten „hot particle theory“, die allerdings in der Radiologie noch umstritten sei, reiche bereits ein einziges Partikel eines Alpha–Strahlers aus, um Krebs auszulösen. In diesem Zusammenhang forderte der BUND– Naturschutz gestern die unverzügliche Einleitung von Blutuntersuchungen bei den betroffenen Arbeitern. Der zweite Vorsitzende des BUND–Hessen, Eduard Bernhard, erinnerte im Zusammenhang mit dem NUKEM–Unfall an die Kontaminierung eines ALKEM–Arbeiters 1984. Bis heute seien die Blutuntersuchungsergebnisse dieses Arbeiters nicht veröffentlicht worden. Erst vor Monatsfrist waren in einer Atomanlage der KWU dreißig Arbeiter kontaminiert worden.